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10 Uhr Vormittag, in der Wiener Staatsoper herrscht bereits hektische Betriebsamkeit. Auf der Bühne proben die Sängerinnen und Sänger für die kommende Premiere. Bereits um 7:30 Uhr wurde mit den Bühnenumbauten begonnen, am Nachmittag werden dann die Kulissen für die Abendvorstellung aufgebaut, während auf den fünf Probebühnen und in den zwei Ballettsälen mit höchster Konzentration Choreografien, Gesangspartien und Choreinsätze eingeübt werden. 950 Menschen arbeiten jeden Tag in der Wiener Staatsoper zusammen, damit am Abend die Aufführung den allerhöchsten Ansprüchen genügt.
Große Namen, große Geschichte
Mehr als 300 Vorstellungen pro Saison geben die Stars der Opernwelt und des Balletts auf der Bühne der Wiener Staatsoper, 2.276 Plätze fasst der Zuschauerraum, der von einem drei Tonnen schweren Luster gekrönt wird - das Haus am Ring, das dieses Frühjahr mit viel Medienwirksamkeit den 150. Jahrestag seiner Eröffnung feiert, ist ein Ort der Superlativen. Viele großen Namen wie Herbert von Karajan, Christa Ludwig oder Rudolf Nurejew sind untrennbar mit der Wiener Staatsoper verknüpft. Heute geben sich Weltstars wie Elīna Garanča, Plácido Domingo oder Anna Netrebko und viele andere im Haus am Ring die Klinke in die Hand. Eine Eigenheit der Wiener Staatsoper, die eng mit ihrem Aufstieg zu einem der führenden Opernhäuser der Welt verwoben ist, liegt auch in der herausragenden Qualität ihres Orchesters, das in Personalunion den Klangkörper der Wiener Philharmoniker bildet. “Die enge Verbindung des Staatsopernorchesters mit dem privaten Verein Wiener Philharmoniker ist wesentlich für die Besonderheiten der Wiener Staatsoper in der Gegenwart“, betont auch Oliver Rathkolb, Historiker und Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien. „Diese historisch gewachsene Verbindung ist eines der Alleinstellungsmerkmale des Hauses am Ring.“ Rathkolb war einer der Vortragenden beim illuster besetzten Symposium vergangenen September zum Auftakt der Feiern zu „150 Jahre Opernhaus am Ring“, bei dem die verschiedenen Etappen der Geschichte der Oper in Wien ausgelotet wurden.
Richard Strauss und ein
Open Air Konzert
Am 25. Mai steuert die Wiener Staatsoper dann mit der großartig besetzten Festpremiere von Richard Strauss‘ „Die Frau ohne Schatten“ auf den Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag ihrer Eröffnung zu. Camilla Nylund singt die Titelrolle in der Jubiläumsproduktion: „Es ist für mich eine große Ehre und Freude bei der Festpremiere auf der Bühne zu stehen. Die Kaiserin ist eine Partie, die alles von einer Sängerin verlangt und das reizt mich ganz besonders", meint die gefragte Star-Sopranistin. Neben Nylund sind unter anderen Kammersänger Stephen Gould als Kaiser und Nina Stemme als Färberin zu erleben, am Dirigentenpult steht Christian Thielemann. Das Jubiläumskonzert tags darauf, Ausstellungen, ein zweiter Symposiumsabschnitt, Live-Übertragungen in Österreichs Hauptstädte sowie internationale Public Viewing-Events komplettieren die ausgedehnten Festivitäten rund um das große Jubiläum. Rechtzeitig zu den Feierlichkeiten sind vergangenen Winter die Renovationsarbeiten der historischen Prunkräume fertig geworden, und die historischen Malereien und Stuckaturen erstrahlen wieder wie am ersten Tag, als das Haus am Ring am 25. Mai 1869, unter Beisein des Kaiserpaares, mit Mozarts „Don Giovanni“ feierlich eröffnet wurde. Während das Verstibül, die Feststiege, Schwindfoyer, Loggia und der Teesalon der Oper aus dieser Zeit erhalten sind, wurden Zuschauerraum und Bühnenhaus nach den Zerstörungen am Ende des Zweiten Weltkrieges in den frühen 1950er Jahren komplett neu wieder aufgebaut. Diese Kombination eines reduzierten 1950er-Jahre Stils mit der bunten und überbordenden Neorenaissance des Ringstraßen-Historismus macht viel vom speziellen Charme des Hauses am Ring aus.
DNA der Zweiten Republik
Über ihre musikalische Bedeutung hinaus hat sich die Wiener Staatsoper in ihrer glanzvollen 150-jährigen Geschichte gleichzeitig auch zu einer identitätsstiftenden Ikone für Österreich entwickelt, wie der Historiker Oliver Rathkolb weiter herausstreicht: „Schon in der Spätphase der Monarchie, aber dann intensiver in der Zwischenkriegszeit und vor allem nach 1945 stieg die Wiener Staatsoper von einer europäischen zu einer internationalen Musikikone auf. Die 1945 zerstörte Staatsoper wurde zum Wiederaufbaumythos und stand in der Tradition der kulturellen Opferdoktrin der Österreicher.“ Momente wie die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper am 5. November 1955, nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, sind bis heute wichtige Bezugspunkte im Selbstverständnis der Zweiten Republik. All ihrem Glanz der vergoldeten Stiegenaufgänge und funkelnden Kronleuchter zum Trotz ist das Haus am Ring aber keineswegs ein ausschließlich elitärer Ort, ist doch eines der bemerkenswertesten Wiener Spezifika das breite Interesse aller Bevölkerungsschichten an der Oper, wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer betont. Diese tiefe Verbundenheit des Wiener Publikums insbesondere mit den Sängerinnen und Sängern, die hier wie in keinem anderen Opernhaus der Welt gefeiert und beklatscht werden, ist zu einem nicht unerheblichen Teil auch den 567 heißbegehrten Stehplätzen des Hauses geschuldet. Alle, die sich rechtzeitig in die sich täglich um die halbe Oper windende Schlange der Stehplatzbesucher einreihen, kommen hier für einen kleinen Betrag in den Genuss eines grandiosen Opernabends. Als Geschenk an das breite Publikum möchte Staatsoperndirektor Dominique Meyer denn auch ausdrücklich das Jubiläumskonzert am 26. Mai verstanden wissen, wenn das Staatsopernorchester zusammen mit dem Chor, dem Solistenensemble und hochkarätigen Gastsolisten auf einer Bühne vor dem Haus am Ring – und aus den Fenstern der Oper und des Hotels Bristol – Highlights des Opernrepertoires darbieten. Der technikaffine Staatsoperndirektor sorgt außerdem dafür, dass die Feierlichkeiten weltweit mitzuverfolgen sind - und wieder einmal unterstrichen wird, dass Wien nach wie vor die Welthauptstadt der Oper ist.
Nachgefragt
Dominique Meyer
Direktor der Wiener Staatsoper
Dominique Meyer war Berater im französischen Kulturministerium und Generaldirektor der Pariser Oper. Seit 2010 ist Dominique Meyer Direktor der Wiener Staatsoper.
Dieses Frühjahr wird 150 Jahre Opernhaus am Ring groß gefeiert - Wien und die Oper verbindet offensichtlich eine innige Beziehung?
Die Oper hat eine sehr schöne und lange Geschichte in Wien, auch schon bevor man das Haus am Ring gebaut hat. Viele wichtige Komponisten, nicht nur der Wiener Klassik, waren hier. Diese Leidenschaft für die Oper ist wie ein Feuer, das sich selbst ernährt. Das hat auch damit zu tun, dass Wien eine sehr emotionale Stadt ist. Alles was in der Oper geschieht ist wie im Leben, nur stärker: Man liebt sich mehr, man hasst sich mehr - und ich glaube das passt einfach zur Wiener Mentalität. Die Wiener Staatsoper selbst hat natürlich auch eine große Geschichte, alle großen Künstler sind hier zu Hause - die Künstlerliste der Wiener Staatsoper liest sich heute wie das Who is Who des Weltgesangs.
Was macht die Wiener Staatsoper so einzigartig?
Das ist sehr einfach: Wir sind das letzte große Repertoirehaus. Wir spielen 250 Opern- und 50 Ballettaufführungen pro Saison, und zwar 50 verschiedene Opern und 10 Ballettprogramme. Zudem haben wir dieses einzigartige System mit den Wiener Philharmonikern, die gleichzeitig auch das Staatsopernorchester sind. Die unglaublich hohe Qualität dieses Orchesters macht das dichte Repertoireprogramm überhaupt erst möglich. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt!
Am Jubiläumsabend am 25. Mai steht die Premiere von Richard Strauss‘ Oper „Die Frau ohne Schatten“ am Spielplan. Warum gerade dieses Werk?
Zuerst war Richard Strauss Direktor hier von 1919 bis 1924, „Die Frau ohne Schatten“ wurde hier im Haus uraufgeführt - vor genau einhundert Jahren. Strauss ist zudem ein Komponist, der vom Orchester sehr geliebt wird. Und unsere Besetzung mit Stemme, Nylund, Herlietzius, Gould, Koch und Christian Thielemann am Pult kann sich sehen lassen!
Was schätzen die gefeierten Opernstars besonders an der Wiener Staatsoper?
Die Wiener Staatsoper ist das Opernhaus Nummer eins der Welt und da will man Teil sein vom Programm. Punkt zwei: Im Orchestergraben spielen die Wiener Philharmoniker. Für viele ist es eine Offenbarung, mit so einem Orchester arbeiten zu dürfen. Drittens ist das Publikum sehr dankbar. Da spürt man noch, dass die Herzen schlagen, dass die Emotionen hochkommen. Und die Wiener Staatsoper funktioniert, obwohl sie ein großes internationales Opernhaus ist, wie eine Familie: Sehr professionell aber auch menschlich sehr warmherzig.
Wir schreiben inzwischen das 21. Jahrhundert - wie fügt sich Musiktheater als Kunstgattung ins digitale Zeitalter?
Sehr natürlich finde ich – das sieht man etwa an den zeitgenössischen Werken, die wir spielen. Ich persönlich habe mich auch immer für neue Technologien begeistert. Wir waren zum Beispiel die allererste Institution weltweit, die eine Live-Übertragung in UHD gemacht hat, noch bevor der Fußball damit angefangen hat. Wir haben an jedem Platz Tablets mit Übersetzungen in derzeit sechs Sprachen. Ich finde, dass die alte Dame Staatsoper sehr modern ist.
INFO
Festpremiere Wiener Staatsoper
Die Frau ohne Schatten
Oper von Richard Strauss
25.05.2019
Reprisen: 30.05, 02., 06., 10.06.2019
Jubiläumskonzert vor der Oper
Oper für alle auf dem Herbert-von-Karajan-Platz
26.05.2019
Ausstellung – 150 Opernhaus am Ring
Wiener Staatsoper
ab 09.05.2019
Die Spitze tanzt – 150 Jahre Ballett an der Wiener Staatsoper
Theatermuseum
16.05.2019 – 13.01.2020
theatermuseum.at
Wiener Staatsoper
Opernring 2
wiener-staatsoper.at
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