Vom Wiener Salon
bis New Klezmer

 

Ohne den Beitrag jüdischen Kulturschaffens wäre die Wiener Moderne undenkbar. Heute ist die florierende jüdische Kulturszene wieder selbstbewusster Bestandteil des Wiener Kulturlebens.

  Text: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch
 

Teddy Kollek und Franz Vranitzky blicken über das Häusermeer Jerusalems, das sich unterhalb des Ölberges erstreckt. Die beiden verbindet nicht nur ihr hohes politisches Amt (der eine ist Bürgermeister von Jerusalem, der andere österreichischer Bundeskanzler) - beide haben ihre Kindheit und Jugend in Wien verbracht, wie in der Ausstellung „Teddy Kollek, der Wiener Bürgermeister von Jerusalem“, die momentan im Jüdischen Museum Wien läuft, in Erfahrung zu bringen ist. Die berühmte Fotografie aus dem Jahr 1993 illustriert die enge Verbindung zwischen dem jüdischen Wien und Israel. Das jüdische Wien hat aber nicht nur bei der Staatsgründung Israels wichtige Impulse geliefert - die einst größte deutschsprachige Gemeinde der jüdischen Diaspora stand auch Pate beim großen Aufbruch in die Moderne am Beginn des 20. Jahrhunderts und ist heute, trotz des schmerzlichen Einschnittes und ihrer fast kompletten Auslöschung in der Shoah, wieder ein gewichtiger und umtriebiger Bestandteil des Wiener Kulturlebens.

Das Jüdische Museum Wien als Ort jüdischer Geschichte und Gegenwart
„Wiener und jüdische Kultur sind voneinander nicht zu trennen. Sie sind miteinander verflochten. Denken wir nur an die Wienerlieder - die meisten sind von jüdischen Komponisten und Textdichtern geschrieben, ich nenne pars pro toto Hermann Leopoldi“, unterstreicht Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museum Wien, die entscheidenden, von Jüdinnen und Juden hervorgebrachten kulturellen Errungenschaften in Österreich. Das 1988 wiedergegründete Jüdische Museum Wien, mit den beiden Standorten Dorotheergasse und Judenplatz, ist ein wichtiges Zentrum jüdischer Kultur und gibt vielfältige und spannende Einblicke in die (Wiener) jüdische Geschichte und Gegenwart. Neben der angesprochenen Ausstellung zur Person Teddy Kollek beleuchtet derzeit „The place to be“ die Wiener Salons berühmter jüdischer Gastgeberinnen wie Fanny Arnstein oder Berta Zuckerkandl und ihre Rolle als Orte der gesellschaftlichen Emanzipation. Dazu Spera: „Das Gleichstellungsgesetz unter Kaiser Franz Joseph sorgte für den Zuzug von tausenden Jüdinnen und Juden in die boomende Metropole Wien. Das jüdische Bürgertum hatte entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und Etablierung eines außergewöhnlich interessanten Kultur- und Geisteslebens, einerseits durch das Mäzenatentum, andererseits durch den herausragenden Anteil von Jüdinnen und Juden in Wissenschaft und Kunst.“

Die Wiener Moderne, Psychoanalyse und Literatur
Die Erkenntnisse Sigmund Freuds und ihr Einfluss auf das Werk von Arthur Schnitzler bis Karl Kraus wird gerade in der Ausstellung „Parallelaktionen, Freud und die Literaten des Jungen Wien“ im Sigmund Freud Museum ausgelotet. „Für die moderne Literatur ist die Errungenschaft der Psychoanalyse ganz unverzichtbar,“ betont auch der Lyriker und Schriftsteller Robert Schindel. „Es ist eine der Aufgaben der Literatur, was ungesagt und unbegriffen ist, zu Sprache erstarren zu lassen. Ich denke daher, dass der Beginn der modernen Literatur sehr viel mit Freud zu tun hat.“ Schindel zählt zur gegenwärtigen Generation jüdischer Intellektueller in Wien. Auf die Frage, ob es nach der Katastrophe der Shoah jemals wieder so etwas wie eine Normalität geben kann, meint Schindel, dessen Vater im KZ Dachau ermordet wurde und dessen Mutter Auschwitz und Ravensbrück überlebte: „Ich kann nicht davon sprechen, wie es in 400 Jahren sein wird, ob die Shoah dann die Rolle eines furchtbaren, aber fernen Geschehens in der Weltgeschichte einnimmt. Jetzt ist es so, dass natürlich die Shoah nicht nur das jüdische Wien, sondern Wien überhaupt literarisch dominiert.“ Nach der Veröffentlichung seines zweiten Romans „Der Kalte“ 2013, der auf 660 Seiten die Verwerfungen der Waldheim Affäre auslotet, schreibt der Autor derzeit an einem dritten Roman über das Leben einer jüdischen Kommunistin im 20. Jahrhundert, für die auch die eigene Mutter Vorbild steht. Die hohe Zahl jüdischer Protagonisten der Wiener Moderne - so wie Freud stammten Arthur Schnitzler, Felix Salten, und Karl Kraus aus dem jüdischen Bürgertum und auch Hugo von Hofmannsthal (der sich selbst als katholischen Aristokraten sah) hatte prominente jüdische Vorfahren - sieht Schindel im besonderen Naheverhältnis von Judentum und Sprache begründet: „Das ist ja das ganze Geheimnis, warum es in Wien der 1920er Jahre eine derartige Blüte an jüdischer Kultur gegeben hat - die aber gar nicht unbedingt jüdische Kultur, sondern einfach deutschsprachige Kultur, gemacht von Juden, gewesen ist.“

World Fusion: Wiener Klezmer
Ihr fulminantes Comeback hat in den letzten Jahren die Wiener Klezmer Musik hingelegt. Ein so umtriebiger wie vielseitiger Protagonist der Szene ist Aliosha Biz, der mit Formationen von Frejlech bis Dobrek Bistro auf der Bühne stand und steht und auch schon mit dem Wiener Oberkantor Shmuel Barzilai musiziert hat. In Moskau aufgewachsen, wo er Mitglied des Moskauer Jugendorchesters war, kam Biz 1989 nach Wien. „Es war eine Art Rückkehr in die unbekannte Heimat meiner Vorfahren - meine Großmutter ist gebürtige Wienerin. Erst in Wien habe ich dann alle diese Arten jüdischer Kultur und jüdischer Musik für mich entdeckt. Und zu meinem Glück bin ich genau zu einer Zeit hier angekommen, als eine regelrechte Explosion an jüdischem Kulturleben stattgefunden hat!“ Nach Bands wie Geduldig un Thimann oder dem Timna Brauer & Elias Meiri Ensemble in den 1970er und 1980er Jahren waren es vor allem jüdische Zuwanderer aus der damaligen Sowjetunion wie Roman Grinberg (der aus Moldavien über den Umweg Israel nach Österreich gekommen ist), die die Klezmertradition in Wien weiterführten. „Aber dadurch, dass Wien ein Melting Pot für sehr viele Kulturen ist, mischt sich in diese Klezmertradition auch andere Musik: Balkaneinflüsse, Jazz, orientalische Musik - es wird zu einem ganz neuen Ding!“ fügt Aliosha Biz an. Bands wie Mandys Mischpoche oder Hatz & Klok stehen für diesen, mit den unterschiedlichsten Musiktraditionen verschmolzenen, Wiener Klezmerstil.

Jüdische Kultur in Wien liefert heute wieder einen vielfältigen Input zum Kulturleben der Stadt, wie Danielle Spera, die Direktorin des Jüdischen Museum Wien betont: „Es vergeht kein Tag, an dem in Wien nicht irgendein jüdisch konnotiertes Kulturereignis stattfindet!“ Vom Klezmore Festival über die Jüdischen Filmwochen bis zum gerade laufenden, von der Iraelitischen Kultusgemeinde organisierte Festival der Jüdischen Kultur, inklusive hochkarätiger Gäste und Straßenfest, gilt es, einen starken und blühenden Ast des Wiener Kulturlebens mit einer großen Geschichte und Tradition zu entdecken.



Jüdisches Museum Wien
jmw.at

Sigmund Freud Museum
freud-museum.at

Russian Gentlemen Club
r-g-c.at

...

 



copyright: rois&stubenrauch | für Cercle Diplomatique 2/2018

  > textanfang
  > zurück zu den reportagen und interviews
   
  copyright rois&stubenrauch - www.breve.at