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Der ersten Kontakt mit Islands Urkräften findet im Badezimmer statt. Dreht man im Hotel in Reykjavik den Warmwasserhahn auf, riecht es zuerst einmal kräftig nach Schwefel. Der olfaktorische Angriff des siedend heißen Thermalwassers, das aus dem Erdinnern bis in jedes Haus geleitet wird, ist für die empfindliche zentraleuropäische Nase einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Nun gut, Zähne putzen kann man auch mit kaltem Wasser und auf der Haut geht der Schwefel dann anscheinend irgend eine vorteilhafte chemische Reaktion ein, so dass es zwar während dem duschen wie bei einem Besuch in Luzifers Reich, man selbst letztendlich aber nicht unangenehm nach Streichhölzern riecht. Ein anderes Phänomen der Insel im Nordatlantik wird auch gleich in der ersten Nacht offenbar: Es wird nicht dunkel. Irgendwann spät am Abend nähert sich die Sonne dem Horizont, färbt den Himmel in flammendes Rosa und Orange, das mehr als eine Stunde anhält, dann dämmert es ein wenig, gegen Mitternacht wird sogar die Strassenbeleuchtung kurz aufgedreht, doch das war's dann auch schon. Nahtlos setzt das Morgenrot ein und beim Frühstück steht die Sonne bereits hoch am Himmel.
Islands Uhren ticken anders. Vieles läuft hier ein wenig verkehrt, so als hätte die Physik Freude daran gefunden sich einmal nicht an die Spielregeln, die für den Rest der Welt gelten, zu halten. Bergbäche können zum Beispiel auch kochend heiß sein wie sich bei einer Wanderung ins Grensdalur Tal herausstellt. Es zischt und faucht aus allen Ritzen und Spalten, unheimliche Kräfte spucken siedenden Schlamm und schwefliges Wasser an die Erdoberfläche. Dampfend schlängelt sich der Bach durch neongrüne Moospolster und saftige Wiesen. Eine Landschaft wie aus Tolkiens Skizzenbuch, fremd und märchenartig. Und mittendrin zwei lachende Gestalten im heißen Wasser. Nachdem sie sich auch beim Näherkommen nicht in eine Nebelschwade auflösen, wie es vielleicht isländische Elfen getan hätten, handelt es sich offensichtlich um Menschen. "It's wonderfull!" lassen die beiden hörbar amerikanischen Touristinnen, die sich im Wasser räkeln, wissen. Etwas weiter oben in Tal taucht nun auch der Rest der Gruppe samt den Pferden, mit denen sie gekommen sind, auf. Wenig später sitzt man dann selbst ziemlich perplex im badewannenheissen Bergbach, umspült von grünlichen Algen, und kann den beiden nur vollumfänglich beipflichten. Dass es inzwischen zu regnen begonnen hat, trübt die gute Laune nicht weiter. Ein wohlweislich eingepackter, schon etwas ramponierter Knirps leistet wertvolle Dienste zur Rettung des romantischsten Bades aller Zeiten mitten in der einsamen Wildnis inklusive Ausblick auf eine völlig ausserirdisch anmutende Landschaft.
Doch nicht alles was dampft, ist gleich ein wohltemperierter Hotpot. Meist kommt das Wasser kochend oder gleich in Form von Dampf an die Oberfläche. Oder als heißer Schlamm, der sich in gefährlich blubbernden Mudpots sammelt. Oder es schiesst aus einem Geysir als kochende Fontäne in den Himmel. Eis ist der andere Aggregatzustand dem Island allein schon seines Namens wegen verpflichtet ist. Riesige Gletscher überziehen die Berge von denen unzählige Flüsse zum Meer hinunter strömen. An Wasser herrscht also wahrlich kein Mangel, nur ist dieses Wasser zum baden fast immer zu kalt, manchmal zu heiß und nur selten mischen sich die beiden Extreme der Insel zu wohligen Temperaturen. Und ohne ein wenig Thermalwasser sind selbst die einladenden Becken unter den wunderschönen Wasserfällen entlang der Südküste beim besten Willen einfach zu kalt. Selbst wenn die Sonne von einem knallblauen, wolkenlosen Himmel herunter brennt, die Westmännerinseln wie eine Fata Morgana über dem in der Hitze flirrenden Meer aufsteigen und nicht nur die abgehärteten Isländer im T-Shirt herumlaufen bleibt das kristallklare Wasser so eisig, dass man spätestens, wenn man bis zu den Knöcheln im Wasser steht, klein beigeben muss.
Zwei Tage später, der Wind hat gedreht, ein arktisches Tief peitscht tiefliegende Wolken über das Land. Ein guter Tag, um von den Ostfjorden über das Hochland in den Norden zu fahren. Die einsame Piste führt kilometerweise durch völlig menschenleere Gegenden, hier gibt es nicht einmal mehr Büsche, nur noch ein wenig Moos, ab und zu ein paar Graugänse, später dann gar nichts mehr. Rötliche und schwarze Steine und Lavafelder erstrecken sich bis zum Horizont, wo die Vulkane des Hochlandes, die diese immense Steinwüste ausgespuckt haben, durch die Wolken lugen. Nach einer weiteren Stunde taucht dann eine Möwe auf und kündet den nahen Myvatn See an, doch zuerst einmal wird es noch eine Stufe unfreundlicher. Das Thermalgebiet von Jardbadshólar macht sich schon von weitem durch höllischen Gestank bemerkbar. Winzige Krater, die wie die Vulkane des kleinen Prinzen aussehen, spucken fauchend und zischend ihren stinkenden Dampf in die kalte Luft. Nicht gerade eine lebensfreundliche Gegend, die allerdings nach Meinung der "Mars Society" unserem Nachbarplaneten so ähnlich sieht, dass hier in einer Versuchsstation ernsthaft für eine in ein paar Jahren geplante Expedition zum Roten Planeten trainiert werden soll. Das von einem futuristischen Kraftwerk aus den 70ern zur Stromgewinnung genutzte Thermalwasser füllt einen großen, milchig weissen See. Dicker Dampf lässt die Konturen der Badenden aus dem nahen Reykjahild im weissen Nichts verschwimmen. Dantes Inferno geht einem durch den Kopf aber wenn man sich dann in das schon an der Grenze zum Kreislaufkollaps heiße, schweflige Wasser gequält hat, denkt man sich, dass die Hölle vielleicht ja doch ein gar nicht so unangenehmer Ort sein könnte.
Diese existiert übrigens ganz physisch. Viti - isländisch für Hölle - heißt ein Krater mitten im einsamen Hochland, der bei den gewaltigen Eruptionen, die 1875 fast den ganzen Osten Islands mit Asche bedeckten, entstand. Später füllte sich der Krater mit Regenwasser, doch es brodelt noch in der Tiefe, stark genug, um das Wasser auf angenehme 25° Grad zu erwärmen. Willkommen also zum entspannenden Bad in der Hölle! Was man allerdings auch nötig hat, ist Viti doch nur per ausgedehntem Fussmarsch erreichbar. Natürlich legt auch des öfteren der Mensch Hand an die Hotpots. Wie bei der "Blue Lagoon" in der Nähe der Hauptstadt, wo Reykjavíks Passion für cooles Design futuristische Badehäuser mit allem Komfort mitten in die rabenschwarze Lavawüste gesetzt hat. Manchmal geraten die von den Menschen errichteten Bäder aber auch wieder in Vergessenheit. Dann verwandelt sich das alte Dorfbad aus den 30er Jahren, versteckt im Tal von Svelljavellir, in einen luxuriösen Privatpool wie aus einem Antonioni Film. Das wunderschöne Becken mit atemberaubenden Ausblick auf den Myrdalsjökull Gletscher teilt man sich einzig mit ein paar neugierigen Möwen - vielleicht auch mit einigen Trollen, die einen von den bizarren Lavafelsen aus beobachten.
Die Kleider und Handtücher riechen dann, wieder zu Hause, auch nach dem zweiten waschen noch immer leicht nach Schwefel. Insgeheim möchte man auch gar nicht, dass dieser Geruch wieder verschwindet, hat ihn längst ins Herz geschlossen, lässt er doch in einem die Sehnsucht nach diesem verrückten Land am Polarkreis aufblitzen. Sehnsucht nach den weissen Nächten, in denen es nie dunkel wird, dem weiten Himmel über den menschenleeren Lavafeldern, den Gletschern und Vulkanen. Sehnsucht nach der Hölle, in der man so schön baden kann.
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