Geschichten vom
Wiener Meer

  Die etwas skurrile Begebenheit, wie das Meer in einen Bunker aus dem
zweiten Weltkrieg gekommen ist.
  Text: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch
 

345 km Luftlinie und die Alpen liegen zwischen dem Esterhazypark und der Adria bei Monfalcone. Der Wasserweg auf der Donau zum Schwarzen Meer misst gar 1929 km. Angesichts dieser Distanzen und der damit einhergehenden geistigen Fremde der See gegenüber ist es den Wienern vielleicht nicht wirklich übel zu nehmen, dass sie einen Bunker aus dem zweiten Weltkrieg "Haus des Meeres" nennen. Wer aus einer der umliegenden Gassen zum Park tritt, der einst zum barocken Wiener Palais der Fürstenfamilie Esterhazy gehörte, erschrickt zuerst einmal ob des riesigen, dunkelgrauen Betonklotzes, der da mitten aus der kleinen Anlage 47 m völlig fensterlos in den Himmel wächst. Auf den ersten Blick fallen die an überdimensionierte Micky-Mouse Ohren erinnernden Auskragungen an der Galerie ins Auge, erst viel später nimmt man auch - je nachdem, von welcher Seite man sich dem Ungetüm nähert - das an die Aussenwand angebrachte, grüne Gewächshaus, beziehungsweise den blauen Schriftzug "Haus des Meeres" und den im Vergleich zur Massigkeit des Bauwerks geradezu lächerlich kleinen Eingang war. Bis vor einigen Jahren waren schon ziemlich verbeulte Blechlettern und eine völlig schmucklose, hellblaue Tür mit einem silbernen Knauf überhaupt die einzigen Hinweise darauf, dass sich in diesem düsteren Gebäude das Meer befinden soll.

Von 2,5 Meter dicken Mauern von der Welt getrennt und eingehüllt in einen Hallenbad ähnlichen Dunst steht man dann tatsächlich im bläulichen Licht vor verschiedenen Ausschnitten der Weltmeere. Wo einst die Bevölkerung des 6. Wiener Gemeindebezirks zusammengepfercht auf das Ende des Bombenalarms wartete, schwimmen jetzt bunte Fische. In einem grossen, kahlen Becken ziehen eine Meeresschildkröte und einige Haifische unermüdlich ihre immer gleichen Runden, andere Aquarien enthalten Zierfische mit so phantastischen Namen wie Augenfleckfalterfisch, blaue Demoiselle, Zwergkaiserfisch oder Mirakelfisch. Über mehrere Stockwerke erstrecken sich die beleuchteten Glaskästen, weiter oben gibt es Schlangen und Echsen. Die Wände sind von Vitrinen mit verstaubten Muscheln und Haifischgebissen und Schautafeln zu den ausgestellten Tieren belegt. Fotos unförmiger, blaurot und blasenwerfend angeschwollener Gliedmassen, die Auswirkungen von Schlangenbissen darstellen, sind mit trockenen Kommentaren versehen: "Die Schwellung war so stark, dass die Wade aufgeschnitten werden musste. Das Bein konnte gerettet werden" steht da beispielsweise in wienerisch unzimperlicher Verknappung zu lesen.

In den letzten Jahren hat man versucht, der klaustrophoben Atmosphäre im Bunker gegenzusteuern, heller und grosszügiger zu werden. Das wie ein Rucksack an die Aussenwand des Turmes gehängte Tropenhaus, das über zwei Durchbrüche durch den dicken Beton betreten wird, macht den Schritt in die Erlebniswelten des 21. Jahrhunderts, in den älteren Teilen schlägt einem jedoch der Muff der Sechzigerjahre noch immer ungebremst entgegen. Zwei wetterfeste, grün lackierte Bänke, wie sie auch im Park vor dem Haus anzutreffen sind, stehen da verlassen zwischen viel zu kleinen Terrarien, deren Rückwände einst von einem mässig begabten Maler mit Landschaften aus der Heimat der Insassen bemalt wurde, um auf diese Weise zumindest dem Betrachter ein wenig die Illusion von Weite zu verschaffen. In Wirklichkeit sind die Behälter oft so klein, dass viele der Tiere darin nur aufgerollt Platz finden. Meist einzelne Echsen und Schlangen sitzen völlig regungslos auf dem Kies oder einem Ast, und manchmal ist man sich nicht sicher, ob sie nicht vielleicht bereits tot oder gar ausgestopft sind. Hier bekommt das Wort trostlos eine Dimension, wie sie wahrscheinlich nur in Wien erreicht werden kann.

Das wichtigste Meeresforschungsinstitut Europas hätte in den düsteren Räumen nach Vorstellung seiner Gründer einmal entstehen sollen, aber man musste dann wohl einsehen, dass der Standort Wien und das beengende Monstrum aus dem zweiten Weltkrieg im internationalen Vergleich nicht gerade die besten Voraussetzung für dieses Unterfangen bildeten. Die Inbeschlagnahme des Bunkers erfolgte eigentlich aus rein pragmatischen Beweggründen, versucht Dr. Michael Mitic, der technische Leiter des Hauses, die Anfangszeiten des Vereins zu ergründen. "Damals hat man halt noch nicht so ans Publikum gedacht." Die massive Bauweise der einst auch als Munitionsdepots angelegten Räume garantierte, dass die Böden dem Gewicht der Aquarien ohne zusätzliche bauliche Massnahmen standhielten und die Miete fiel ob des desolaten Zustandes des Gebäudes sehr gering aus. Anfangs teilte sich die "Gesellschaft für Meeresbiologie" das Relikt aus dem letzten Krieg noch mit anderen Nutzern. Im Erdgeschoss lagerte das Stadtgartenamt Schaufeln und Schubkarren, ein Jugendclub belegte bis in die Sechzigerjahre die oberen Etagen. Geld war knapp, "improvisieren und basteln" war das langjährige Credo des Vereins. Die Vielzahl der verwendeten Fliesen, Wandverkleidungen und Anstriche würde denn auch jedem Baumarkt zur Ehre gereichen. Bis heute schwimmen manche der Fische hinter alten Tramwayscheiben, die Becken sind teilweise dem Weinbau entlehnt. Bedingt durch das spärliche Eintreffen von Mitteln konnte nie nach einem grosszügigen Konzept gearbeitet werden. Dennoch verdrängte der Verein nach und nach alle anderen Nutzer und der Turm entwickelte sich zu einer Wiener Institution, obwohl er im Grunde "ein beliebtes aber bescheidenes Aquarium mit interessanten Tieren aber beschränkten Möglichkeiten" blieb, wie sich eine der zahlreichen Studien zur Nutzung der Wiener Flaktürme diplomatisch ausdrückt. Trotzdem hat, was 1958 als etwas grössenwahnsinniges Projekt von ein paar Aquarianer und Biologen begann, inzwischen die endgültige Absolution durch die Stadtverwaltung erlangt und fungiert heute am offiziellen Touristenstadtplan gleichwertig neben dem weltberühmten historischen Zoo im Schloss Schönbrunn. Sogar die nahegelegene Station der Autobuslinie 13A wurde über die Jahre von "Esterhazypark" über "Esterhazypark - Haus des Meeres" schliesslich in "Haus des Meeres" umbenannt.

Dass die sechs Flaktürme der Stadt nach dem Ende des zweiten Weltkrieges nicht einfach abgerissen wurden, lag einerseits am mangelnden politischen Willen, zum anderen auch an den fehlenden Mitteln für ein mühsames und langwieriges Abtragen mit dem Presslufthammer. Sprengen war ob der massiven Bauweise inmitten von Wohnhäusern nicht möglich, als die Bautechnik dann fortgeschritten genug gewesen wäre, hatte man sich an die unseligen Überbleibsel der Nazizeit, die man hier in Österreich nur möglichst bald vergessen wollte und mit aller Kraft verdrängte, längst gewöhnt. Mit dem Etikett "Mahnmale des Faschismus" kaschierte die Stadtpolitik ihre jahrzehntelange Untätigkeit, eine Nutzung der Betonklötze hat sich eher zufällig ergeben. Der prominent in die städtebauliche Achse der Hofburg gestellte Gefechtsturm in der Stiftskaserne hat das Bundesheer in Beschlag genommen, die Türme im Augarten wurden zugemauert, die Bunker im 3. Bezirk dienen dem Museum für Angewandte Kunst als Lager. Wahrscheinlich war man ja einfach froh und erleichtert, als jemand an der kahlen Fassade im Esterhazypark die Lettern "Haus des Meeres" anbrachte und man nicht mehr Flakturm - ein Wort das so sehr nach Wehrmacht und der unrühmlichen Zeit Österreichs im Nationalsozialismus klang - zum grauen Ungetüm sagen musste. Ab den Sechzigerjahren begannen sich, angesport durch das Beispiel der Aquarianer vielleicht, Projekte für die Wiener Flaktürme zu stapeln. Vom atomaren Versuchsreaktor über Champignonzucht, einem Hallenbad, der grossflächigen Bemalung mit psychadelischen Motiven, einem Eros-Center, der Nutzung als Krematorium, einem Kulturzentrum nach dem Vorbild des Centre Pompidou bis zur Überbauung mit Luxusapartments reichen die durchaus ernstgemeinten Vorschläge. Angesichts der mehr als zweifelhaften Qualität vieler Vorschläge wundert es nicht weiter, dass die Stadt die Diskussionen immer wieder versickern lässt.

Nur die Fische haben sich still und heimlich in den Flakturm geschummelt. Irgendwann waren die Aquarianer dann einfach schon immer da und entwickelten sich über die Jahre vom Kleinstverein zu einer veritablen Wiener Institution. Die Skurilität und latente rabenschwarze Komik, die dem Unterfangen, in einem nationalsozialistischen Bunker ein Aquarium aufzubauen, innewohnt, verhalf dem "Haus des Meeres" allerdings auch schon mehrmals zu Auftritten im heimischen Filmschaffen. Während in der '96er Weihnachtsfolge von "Kommissar Rex" ein Mitarbeiter des Hauses ein kleines Mädchen kidnappt und im Bunker versteckt hält und der Schäferhund "Rex", Protagonist der erfolgreichsten ORF-Serie aller Zeiten, von einer Python gebissen wird, locken in Franz Novotnys Film "Die Ausgesperrten" nach dem Roman von Elfriede Jelinek, die Mädchen einer Jugendbande einen biederen Vertreter mit Versprechungen auf ein sexuelles Abenteuer in die schummrigen Räume zwischen den Aquarien. Die Szene endet damit, dass der von den Jungs im Stiegenhaus seiner Barschaft beraubte und in der Unterhose auf die Brüstung des Flakturms ausgesperrte Kravattenhändler völlig verzweifelte über die Dächer schreit: "Ich bin ein ehrbarer Geschäftsmann, ich komme aus St. Pölten!!"

"Zerschmettert in Stücke (im Frieden der Nacht) / smashed to pieces (in the still of the night)". Den riesigen silbrigen Schriftzug hat Lawrence Weiner 1991 im Rahmen der Wiener Festwochen auf die zuvor weiss gestrichene Fläche oberhalb der Galerie anbringen lassen. Gegen die 2 Meter hohen Lettern des amerikanischen Konzeptkünstlers kämpft ein neonfarbenes Transparent mit der Aufschrift "Haus des Meeres" auf verlorenem Posten, es ist von der Strasse aus an der Brüstung 35 m über dem Park kaum mehr wahrzunehmen. Das "Oeuvre # 670" blieb das einzige realisierte Kunstprojekt am Flakturm, selbst ein Ansinnen Christos aus dem Jahr 1976, den Turm in Stoff einzuhüllen, fand keine Unterstützung. Weiners Arbeit stösst bei der Mannschaft des "Haus des Meeres" auf geteilte Gegenliebe. Mitic mokiert sich ein wenig darüber, dass eigentlich geplant war, die Schrift wieder zu entfernen, "der Herr (er meint Weiner) hat auch das Geld dafür kassiert, ist dann aber verschwunden", doch prinzipiell stört ihn das Werk nicht. Eher fühlt man sich von der Stadt ungerecht behandelt, da man selber gern Eingriffe am Turm vornehmen und zum Beispiel den massigen Beton durch eine Begrünung mit Efeu kaschieren würde, was jedoch aufgrund des rechtlichen Status' der Flaktürme als Denkmäler nicht möglich ist. Seit der Verein das Mietrecht über den Bereich oberhalb der Brüstung an eine Gesellschaft abgegeben hat, die hier ein Café und ein Hotel plant und im Gegenzug dafür das an die Fassade angebaute Tropenhaus errichten durfte, haben sich die Wogen allerdings wieder geglättet. Der künstlerische Eingriff, der mittlerweile als eines der Hauptwerke Weiners gilt, ist inzwischen – nachdem er zwischenzeitlich schon fast völlig verwittert war – restauriert und erstrahlt wieder in frischem Glanz.

Mit anderen offiziellen Stellen florierte die Zusammenarbeit allerdings prächtig in den letzten Jahren. Die Spezialisten des "Haus des Meeres werden von der überforderten Exekutive immer dann angefragt, wenn wieder einmal eine illegal eingeführte, zwei Meter lange Python oder ein Chamäleon aus einer Privatwohnung zu konfiszieren ist. "Gut 90% der Reptilien und Amphibien stammen aus solchen Aktionen," erzählt Mitic, "bei den Fischen sind es weniger aber immerhin noch etwa ein Fünftel." Viele Tiere wurden von ihren Besitzerinnen und Besitzern auch dem "Haus des Meeres" überantwortet, weil sie ihnen schlicht über den Kopf gewachsen sind. Die Seeschildkröte "Puppi" etwa, einer der Stars des Hauses, die von der Besitzerin dem Haus des Meeres abgegeben wurde, weil dem anfangs nur handtellergrossen Urlaubssouvenir bald die Badewanne zu klein geworden war. Publikumslieblinge wie die inzwischen schon 20 Jahre alte und fast eineneinhalb Meter lange Schildkröte locken mittlerweile mehr als 180'000 Besucher jährlich in den ehemaligen Flakturm, der bei den Wienerinnen und Wienern eine erstaunliche Popularität geniesst. Nichtwiener wirft der Anblick des düsteren Betonungetüms allerdings auch nach Jahren noch jedesmal wie in einem schlechten Traum unvermittelt in das beklemmende, bleierne Nachkriegswien zurück. Bunker haben schon Karriere als Technoclubs oder Sondermülldeponien gemacht, aber an keinem anderen Ort der Welt wäre es wohl jemandem eingefallen, ein Aquarium daraus zu machen. Die Stadt an der Donau, fernab vom Meer, ist manchmal eben wirklich ein wenig anders.






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