Kaiserjahre

 

Die Sicht auf die historische Person Franz Joseph I. ist von zahlreichen Mythen und Klischees verstellt. Das Jubiläumsjahr 2016 bietet Anlass für einen unvoreingenommen Blick auf das Leben des Langzeitkaisers, mit dessen 68-jähriger Regierungszeit vor 100 Jahren für viele auch die Habsburgermonarchie und das k. u. k. Österreich-Ungarn zu Ende ging.

  Text und Interview: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch
 

Franz Joseph I. bei der Grundsteinlegung zum Technischen Museum, umgeben von Männern im Frack und Zylinder. „R. Lechner, k. u. k. Hof- Manufactur für Photografie“ ist auf den Rand der leicht angegilbten Fotografie gedruckt. Andere Fotos zeigen den Kaiser in Jagdmontur und kurzen Hosen, mit dem Gewehr am Schoß auf einem Baumstumpf sitzend, in der offenen Kutsche auf der Mariahilfer Straße ebenso wie vor einem Spalier jubelnder Menschen beim Besuch in Bad Aussee... Die über 10.000 Fotografien, Grafiken und Dokumente zu Franz Joseph I. im Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek haben das Bild des „gütigen alten Kaisers“ bis heute fest ins kollektive Gedächtnis Österreichs eingebrannt. Das Leben keiner anderen Person der Österreichischen Geschichte ist so umfassend dokumentiert wie das des ersten Monarchen des Medienzeitalters und Langzeitkaisers, in dessen 68 Jahre andauernden Regentschaft nicht nur Fotografie und Film, sondern auch Glühbirne, Telefon, Automobil und der Passagierflug erfunden wurden.

2016 jährt sich der Todestag Franz Josephs zum 100. Mal. Man wird dem Kaiser dieses Jahr also in zahlreichen Ausstellungen, Medienberichten und Jubiläumsfeierlichkeiten noch oft begegnen. Im Alltag ist der Monarch ohnehin präsent, etwa in Worten wie Kaisersemmel, Kaiserschmarrn oder Kaiserwetter. Hunderttausende Touristen und Habsburg-Nostalgiker bewegen sich jedes Jahr auf seinen Spuren durch Wien und Bad Ischl. Sein Portrait ist auf Geschirr, Schokolade und vielen weiteren Produkten abgedruckt. Oft natürlich zusammen mit seiner Frau Elisabeth, die sowohl in Popularität als auch in der Verklärung ihrer Person, ihren Gatten noch weit übertrifft. Sisi und Franzl – das Traumpaar des 19. Jahrhunderts, Personifizierung des imperialen Österreich. Doch wer war der Kaiser wirklich?

„Wir versuchen ein ausgewogenes Bild Franz Josephs zu vermitteln, dessen öffentliche Wahrnehmung durch Mythen und Klischees geprägt war und heute noch ist,“ meint etwa der Historiker Karl Vocelka, zusammen mit Michaela Vocelka Verfasser einer neuen Biografie Franz Josephs und Kurator der großen Jubiläumsausstellung in Schönbrunn und an drei weiteren Standorten. Trotz des umfassend dokumentierten Lebens des Monarchen ist auch klar, dass sich die historische Persönlichkeit Franz Joseph nur zum Teil mit der vom Kaiserhaus sorgfältig inszenierten wie zensurierten Bilderflut deckt. Die Jubiläumsausstellungen legen jedenfalls weitere, teils kontroversielle Facetten hinter dem Bild des gütigen alten Monarchen frei. Vom Hardliner und Verfechter einer absolutistischen Monarchie, über den wichtige Entscheidungen oft lange hinausschiebenden Zögerer, den pedantischen Bürokraten, der sich selbst in den Ferien die Akten hinterherschicken ließ bis zum fürsorglichen Großvater, der seine distanzierte Art zumindest im Umgang mit seinen Enkeln ablegte.

Mit gerade einmal 18 Jahren mitten in den Wirren des Revolutionsjahres 1848 zum Kaiser ausgerufen, begann Franz Joseph seine Regierungszeit als kompromissloser Monarch mit absolutistischem Machtanspruch, der nicht davor zurückschreckte, zahlreiche Todesurteile, etwa gegen die Anführer des ungarischen Aufstandes von 1848/49 auszusprechen. Das fehlgeschlagene Attentat von 1853 nutzte der anfangs wenig beliebte Franz Joseph geschickt zur Imagekorrektur, die in der bombastischen Traumhochzeit mit seiner jungen Cousine Elisabeth gipfelte. Symptomatisch für die schwierige Beziehung der beiden so unterschiedlichen Charaktere: bereits die Flitterwochen wurden durch den Ausbruch des Krimkrieges vereitelt. Der von Kindheit an zu strengem Pflichtbewusstsein erzogene Kaiser eilte frühmorgens in die Hofburg zu den Regierungsgeschäften, die freiheitsliebende Kaiserin litt zusehends unter der rigiden Hofetikette und der Dominanz ihrer Schwiegermutter und flüchtete bald nach der Geburt der gemeinsamen Kinder aus der Enge des Wiener Hofes.

Die Ringstraße, das bedeutendste Bauprojekt seiner Regierungszeit, wird bis heute mit Franz Joseph assoziiert. In großen goldenen Lettern prangt etwa sein Name auf dem Kunsthistorischen und Naturhistorischen Museum. In der langen Friedensperiode nach den unglücklichen Kriegen gegen Preußen und Italien stieg Wien mit seinem neuen Prachtboulevard zur bedeutenden Weltstadt auf. Franz Joseph wuchs zur Integrationsfigur der wirtschaftlich aufblühenden Donaumonarchie, obwohl er es nicht vermochte, auf lange Sicht mit den wachsenden Nationalismen und Autonomiebestrebungen der verschiedenen Teile des Vielvölkerstaates, den sozialen Problemen und Forderungen des Bürgertums nach mehr Mitbestimmung umzugehen. Der Kaiser hatte hier eher eine „Nichtlösung im Auge“, wie Karl Vocelka anmerkt. Bezeichnend in diesem Zusammenhang die Klage des 23-jährigen Kronprinzen Rudolf in einem Brief an Graf Latour 1881: "Ich sehe die schiefe Ebene, auf der wir abwärts gleiten, kann aber in keiner Weise etwas thun, darf nicht einmal laut reden, ...“ Der Kaiser überlebte jedoch nicht nur seinen liberal gesinnten Sohn, der sich in Mayerling das Leben nahm, sondern ebenso seinen zum Thronfolger nachgerückten Neffen Franz Ferdinand, der 1914 beim folgenschweren Attentat von Sarajevo erschossen wurde. Österreich-Ungarn schlitterte in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und letztlich in seinen Untergang. Als Franz Joseph am 21. November 1916 im hohen Alter von 86 Jahren verstarb, wurde für viele nicht nur der Kaiser, sondern auch gleich sein Reich zu Grabe getragen. Ohne Zweifel ging mit dem Tod Franz Josephs eine Epoche zu Ende. Und es war schon klar, dass aus den Trümmern des Krieges nur ein neues politisches System steigen konnte.

Franz Joseph I. hat Österreich-Ungarn so lange regiert, dass das Wort Kaiser im österreichischen Sprachgebrauch bis heute Synonym für seine Person ist. Das Jubiläumsjahr bietet Anlass zur kritischen Auseinandersetzung mit dem zweitletzten Monarchen der Habsburgerdynastie, entlang dessen Biografie sich wie an keiner anderen Person die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Brüche des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa ablesen lassen.

 

 

NACHGEFRAGT:
Mag. Michaela Vocelka,
Univ.-Prof. (i. R.) Dr. Karl Vocelka
Michaela Vocelka, Historikerin und Leiterin des Simon Wiesenthal Archivs und Karl Vocelka, langjähriger Vorstand des Instituts für Geschichte an der Universität Wien sind Autoren einer 2015 erschienenen Franz Joseph Biografie. Karl Vocelka ist zudem Kurator der aktuellen Ausstellung zum 100. Todestag des Kaisers in Schönbrunn, dem Hofmobiliendepot und Schloss Niederweiden.

Sie haben gerade die Biografie „Franz Joseph I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn“ veröffentlicht – was gibt es zur Person Franz Joseph noch Neues zu sagen?

Michaela Vocelka: Wir haben den vielen existierenden Publikationen eine Biografie gegenübergestellt, die auf kritischer Quellenanalyse basiert, mehr auf die Person Franz Josephs fokussiert und auch die Brüche seines Charakters aufzeigt – das ist, wenn man so will, das Neue an diesem Buch.

Gelingt es der historischen Person Franz Joseph im Jubiläumsjahr 2016 aus dem Schatten seiner populären Frau Sisi herauszutreten?

Michaela Vocelka: Kurzfristig wird es im Jubiläumsjahr vielleicht ein Übergewicht in der Beschäftigung mit Franz Joseph geben, aber langfristig ist Kaiserin Elisabeth sicherlich die medial interessantere Gestalt. Ihre ambivalente Persönlichkeit bietet sich an, als Projektionsfläche für verschiedene Zugänge der Gegenwart – die emanzipierte Frau, die sportliche Frau, die „Esoterikerin“ etc. – instrumentalisiert zu werden.

Betrachtet man die Regierungszeit Franz Josephs entsteht der Eindruck, dass er Konflikte eher auf militärischem als auf diplomatischem Weg zu lösen suchte.

Karl Vocelka: Man hat vor allem nach 1866 durchaus versucht, diplomatisch zu agieren. Besonders in der Balkanfrage, die allerdings unendlich komplex war. Daher auch die lange Zeit weitgehenden Friedens für die Habsburgermonarchie von 1866 bis 1914. Bei den großen Kriegen allerdings, die Franz Joseph führte – 1859 gegen Piemont-Sardinien und Frankreich und 1866 gegen Preußen und Italien – war der Kaiser schnell mit militärischen Entscheidungen zur Hand, die auf der Idee der Ehre der Monarchie und der Pflichterfüllung des Monarchen beruhten. Ein letztes Mal findet sich diese Argumentationsweise in der Kriegserklärung 1914.

Abgesehen von seiner Jagdleidenschaft trat der Kaiser ja fast ausschließlich als pflichtbewusster, erster Beamter der Monarchie in Erscheinung – gab es die Privatperson Franz Joseph überhaupt?

Michaela Vocelka: Natürlich gab es auch private Phasen, etwa im Zusammenleben mit seiner Frau, später dann mit seinen Töchtern und Enkelkindern oder auf der Jagd, aber so richtig „auf Urlaub“ war der Kaiser nie. Auch in Ischl, oder bei seinen Besuchen bei Elisabeth, wenn sie im Süden oder in der Schweiz war, wurden ihm per Kurier Akten nachgeschickt. Sein geradezu idealtypisches „beamtisches“ Pflichtbewusstsein und seine „Verantwortung“ für „seinen Staat“ waren ihm äußerst wichtig.

Dann natürlich die Gretchenfrage zu Franz Joseph: Trägt der Kaiser mit seiner Unterschrift unter die Kriegserklärung die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg? Oder anders gefragt: Gab es für Franz Joseph in dieser Situation überhaupt einen Handlungsspielraum?

Karl Vocelka: Die Frage der Kriegsschuld wurde im Jahr 2014 intensiv diskutiert, wobei es an der Grundtatsache, dass alle europäischen Mächte den Krieg wollten, wenig zu rütteln gibt. Zweifellos hat allerdings Franz Joseph formal den Krieg erklärt und was den Handlungsspielraum anlangt, so hätte man auf die Beantwortung des Ultimatums durch Serbien durchaus auch anders reagieren können.

 



copyright: rois&stubenrauch | für Cercle Diplomatique 3/2016

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