Mit Tempo
ins Jubiläumsjahr
 

2020 feiern die Salzburger Festspiele ihr hundertjähriges Bestehen - perfekter Anlass, der besonderen Magie dieses kulturellen Großereignisses auf den Grund zu gehen.

  Text und Interview: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch
 

Soeben ist bei den Salzburger Festspielen 2019 der letzte Vorhang gefallen. Giuseppe Verdis Oper „Luisa Miller“ - unter anderen mit Plácido Domingo und Piotr Beczala - beschloss am 31. August den diesjährigen Festspielsommer. Doch schon beginnen die fieberhaften Vorbereitungen für die kommende Festspielsaison - mit Hochdruck werden die letzten Details der Besetzungen und des Rahmenprogramms finalisiert: 2020 sollen die Festspiele eine ganz besondere Strahlkraft haben - nächstes Jahr feiern die Salzburger Festspiele schließlich ihr hundertjähriges Bestehen.

Blick zurück und Aufbruch
ins Neuland

Die großen Produktionen des Jubiläumsprogramms, das im November präsentiert wird, sind natürlich längst fixiert, wie Festspielintendant Markus Hinterhäuser versichert. „Entscheidend wird auch sein, was rund um diese großen Produktionen geschieht. Der Reflexionsrahmen wird sich weiten und es wird große, starke, auch riskante musikalische und szenische Aussagen geben“. Die Gefahr, dass sich das Festspielprogramm als bequemer Rückblick in hundert Jahre glanzvolle Festspielgeschichte präsentiert, sieht Hinterhäuser nicht: „Wir werden in die Vergangenheit zurückblicken, immerhin sind 100 Jahre Salzburger Festspiele auch 100 Jahre Kulturgeschichte. Aber uns in diesem Rückblick vergangenheitstrunken und bequem einzurichten wird nicht gehen. Wir müssen uns zur Welt verhalten, diese Verantwortung haben wir.“ Und Hinterhäuser, der den Salzburger Festspielen seit drei Jahrzehnten verbunden ist und dessen Vertrag als Intendant gerade bis 2026 verlängert wurde, legt nach: „Ich betrete in jeder Sekunde Neuland, und ich lade auch Menschen ein, Neuland zu betreten. Es gibt keine gesicherte Erkenntnis.“

Magische Momente
Doch was macht die spezielle Magie der Salzburger Festspiele aus, die dieses Festival seit 100 Jahren antreibt und zur weltweit bedeutendsten Veranstaltung der klassischen Musik und darstellenden Kunst gemacht hat? Jahr für Jahr kommen mehr als 250.000 Besucher zu den Festspielen, die 199 Aufführungen an 16 Spielstätten diesen Sommer waren praktisch alle ausverkauft. Die großen Stars der Opern- und Theaterwelt geben sich in Salzburg die Klinke in die Hand, viele große Künstler feierten bei den Salzburger Festspielen ihren internationalen Durchbruch und stiegen hier zu umjubelten Weltstars auf: Anna Netrebko, Rolando Villazón, Anne-Sophie Mutter, Asmik Grigorian ... die Liste ließe sich lange fortsetzen. Stardirigent Franz Welser-Möst, dessen langjährige Zusammenarbeit mit Salzburg von zahlreichen Uraufführungen und Opernproduktionen, die neue szenische Wege gehen, geprägt ist, erklärt das Phänomen Salzburger Festspiele so: „Die Salzburger Festspiele sind nach wie vor die Nummer eins weltweit! Die Dichte der Ereignisse und die Dichte von erstklassigen Künstlern erzeugt eine kreative Atmosphäre, die auf Außergewöhnliches zielt und so woanders nicht herzustellen ist!“ Welser-Möst leitete etwa die sensationelle Aufführung von Richard Strauss‘ Oper Salome unter der Regie von Romeo Castellucci, die 2018 weltweit Schlagzeilen machte. „100 Jahre nach ihrer Gründung haben die Salzburger Festspiele nach wie vor die Aufgabe nach Vertiefung. Umso mehr als wir in einer Zeit der Geschwindigkeit und dadurch der Oberflächlichkeit leben.“ Auf die Frage, ob es so etwas wie eine spezielle Magie in Salzburg gibt, meint der Stardirigent umgehend: „Um nur ein Beispiel zu nennen: die Felsenreitschule! Der Raum ist weltweit einzigartig, magisch, und die Auseinandersetzung mit ihm kann Einzigartiges hervorbringen.“

Eine bahnbrechende Idee
„Das Salzburger Land ist das Herz vom Herzen Europas. Es liegt halbwegs zwischen der Schweiz und den slawischen Ländern, halbwegs zwischen dem nördlichen Deutschland und dem lombardischen Italien; es liegt in der Mitte zwischen Süd und Nord, zwischen Berg und Ebene, zwischen dem Heroischen und dem Idyllischen; (...) Das mittlere Europa hat keinen schöneren Raum, und hier musste Mozart geboren werden.“, begründet Hugo von Hofmannsthal in einem Essay 1919 die Wahl Salzburgs als Schauplatz für die von ihm zusammen mit Max Reinhardt, Richard Strauss und einigen weiteren Mitstreitern initiierten Festspiele. Ein großer Schritt auf dem Weg zur Umsetzung der epochemachenden Idee war der Erwerb von Schloss Leopoldskron durch den berühmten Theaterimpressario Max Reinhardt 1918, das bis zu seiner Emigration und Enteignung durch die Nationalsozialisten sein Lebensmittelpunkt werden sollte. Das idyllische Schloss vor den Toren Salzburgs mit seinem großen Park wurde bald zum Treffpunkt für Kulturschaffende, Schriftsteller, Komponisten und Schauspieler. Zu den vielen Gäste Reinhardts auf Schloss Leopoldskron zählte etwa der Schriftsteller Carl Zuckmayer, Schauspiellegende Hugo Thimig oder Politgrößen wie Sir Winston Churchill. Hier reifte die lange gehegte Festspielidee schließlich bis zu ihrer konkreten Umsetzung.

Unsterbliches Signature Dish
Am 22. August 1920 war es dann soweit: „Jedermann“, Hugo von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“, wie das Stück im Untertitel heißt, wurde unter der Regie Max Reinhardts zum ersten Mal am Salzburger Domplatz gegeben. Schon damals beeindruckt das visionäre Konzept, die ganze Stadt als Bühne zu nutzen. Mittlerweile ist man bei Aufführung 710 angelangt und der „Jedermann“ ist auch nach 100 Jahren noch immer Dreh- und Angelpunkt der Festspiele - quasi ihr Signature Dish, ohne das die Salzburger Festspiele völlig undenkbar wären. Obschon Valery Tscheplanowa, die diesen Sommer erstmals in der Rolle der Buhlschaft brillierte, einwirft, „vielleicht in Zukunft aus dem Jedermann einen "Jedermensch" zu machen, indem Mann und Frau diese Figur darstellen.“ Die in Kasan in der ehemaligen Sowjetunion geborene, deutsche Schauspielerin gewinnt der Geliebten des Jedermann mit ihrem selbstbewussten Auftritt im Hosenanzug samt Chansoneinlage jedenfalls spannende neue Aspekte ab. Die lange Liste der Darsteller im „Jedermann“ durch die Jahrzehnte ist ein verlässliches Who is Who der deutschsprachigen Schauspiel-Stars. Die Befindlichkeiten des Hauptdarstellers und die Besetzung der Buhlschaft füllen regelmäßig die Titelseiten der österreichischen und deutschsprachigen Zeitungen. Wichtiger als der Medienrummel ist Valery Tscheplanowa indessen die Relevanz des Textes, auch wenn ihre Rolle gerade einmal 30 Sätze umfasst. „100 Jahre! Es ist wirklich spannend darüber nachzudenken, ob die im Jedermann gesprochenen Texte noch Gültigkeit besitzen. Allerdings wird noch immer gestorben und das Sterben lässt sich nicht modernisieren. Die Fragen, die sich der Jedermann stellt zu seinen Werken, seiner Liebe, seinem Glauben altern nicht.“

Visionäre Konstellationen
Künstlerische Antworten auf gültige Fragen zu finden zählt seit jeher zu den Kernkompetenzen der Salzburger Festspiele. In der jüngerer Geschichte der Festspiele sind es meist unkonventionelle Zweiergespanne, die den Werken neue und überraschende Erkenntnisse abgewinnen. So entlockte etwa die blühende Zusammenarbeit der beiden Perfektionisten und Exzentriker Peter Sellars und Teodor Currentzis den Opern Mozarts bisher nicht gekannte Aspekte und Nuancen. Eine völlig entschlackte Aida erwuchs 2017 der funkensprühenden Zusammenarbeit der iranischen Künstlerin Shirin Neshat mit Dirigentenlegende Riccardo Muti. William Christie und sein Originalklangorchester Les Arts Florissants verschränkten letzten Sommer Claudio Monteverdis Barockoper „L‘Incoronazione di Poppea“ mit dem zeitgenössischem Tanz von Jan Lauwers‘ Need Company zu einem atemberaubenden Gesamtkunstwerk. Diese außergewöhnlichen Konstellationen schaffen denn auch den beflügelnden Rahmen für die herausragenden musikalische Darbietungen der Sängerinnen und Sänger, für die Salzburg berühmt ist. „Es kreiert unglaublich starke Gefühle, die Welt der Tänzer mit der Welt der Opernsänger zu vermischen. Ich habe dieses Konzept sofort geliebt“, meint etwa Sonya Yoncheva, die in dieser aufsehenerregenden Produktion die Poppea sang - was Sie auf die Titelseiten zahlreicher Opernmagazine und Kulturteile brachte. „Es ist wirklich ein Luxus, in Salzburg zu sein, inmitten der besten Musiker und der bestmöglichen Landschaft. Man ist von so viel Inspiration umgeben - natürlich liebe ich es, in Salzburg zu singen!“

Im großen Jubiläumsjahr 2020 werden die Salzburger Festspiele also Rückschau halten auf hundert Jahre Festspielgeschichte - auch mit der Salzburger Landesausstellung „Großes Welttheater“, die die Geschichte der Festspiele ausführlich aufrollen wird - und mit viel Rahmenprogramm. Vor allem wird es spannend, wie die Salzburger Festspiele ihr historisches Credo „Von allem das Höchste“ zum runden Geburtstag noch um einen Tick steigern werden können.

 

Nachgefragt

Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler

Helga Rabl-Stadler im Cercle Diplomatique Interview über den kühnen Gründungsgedanken der Salzburger Festspiele und ihre Vision für das Jubiläumsprogramm 2020.


Sie sind seit einem Viertel Jahrhundert Präsidentin der Salzburger Festspiele. Welches sind die wichtigsten Errungenschaften die Sie in dieser Zeit erreicht haben?


Mein sichtbarster Erfolg ist der Bau des Haus für Mozart und der Umbau der Felsenreitschule zu einer vollwertigen Opernbühne. Was mich aber besonders freut: Die Festspiele sind internationaler denn je, wir haben Gäste aus 85 Nationen, davon 47 nichteuropäische. Und die Salzburgerinnen und Salzburger empfinden die Festspiele zu Recht als die ihrigen - die Zeiten in denen die Festspiele wie eine Wolke der Reichen und Schönen über der Stadt schwebten sind Vergangenheit.

Gibt es so etwas wie eine spezielle Salzburg Magie?

Die Festspiele wurden von Hofmannsthal und Reinhardt sehr bewusst in unserer Kleinstadt, im „Herz von Herzen Europa“ (Hugo v. Hofmannsthal), gegründet, weil sie der richtigen Annahme waren, dass so ein Projekt nur Erfolg haben kann, weit entfernt von den Zerstreuungen der Großstadt. Es gibt in Paris, London und Berlin so gute Opern wie bei uns, so interessante Konzerte, so aufregendes Schauspiel. Aber nur in Salzburg ändert sich durch die Kunst die Temperatur. „Die ganze Stadt ist Bühne“, sagte Max Reinhardt, die Einzigartigkeit von Salzburg ist mit ein Grund für die Anziehungskraft der Festspiele.

Welche Vision haben Sie für die Jubiläumsausgabe der Salzburger Festspiele 2020?

Es wird rund 200 Veranstaltungen geben, für das Epizentrum des Besonderen bürgt Markus Hinterhäuser. Wir hoffen von der öffentlichen Hand einen Jubiläumsbonus zu bekommen, aus dem wir vor allem jene Veranstaltungen finanzieren wollen, die unser Programm ummanteln: Diskussionsveranstaltungen mit den hellsten Köpfen aus der ganzen Welt, unter dem Motto „Die Welt von morgen“.

Was sollen die Salzburger Festspiele im 21. Jahrhundert bewirken?

Wir wollen keine politischen und schon gar keine parteipolitischen Ratschläge von der Bühne herabgeben, aber wir wollen die Menschen zum Nachdenken bringen. Die richtigen Fragen zu stellen, ist in unserer, an vorschnellen Antworten leidenden Zeit eine wichtige Aufgabe. Dafür ist Kunst da.

Sehen Sie die Salzburger Festspiele - gemäß ihrer Gründungsidee - weiterhin auch als Friedensprojekt?

Man muss sich immer wieder die Kühnheit des Festspielgedankens in Erinnerung rufen. Mitten im Ersten Weltkrieg hat Max Reinhardt 1917 von Berlin aus an den Kaiser in Wien geschrieben und ihm Festspiele in Salzburg als eines der ersten Friedensprojekte nach Ende des Kriegs ans Herz gelegt: Nur die Kunst könnte die vom Krieg gegeneinander gehetzten Völker zusammenbringen, dem einzelnen Menschen, aber auch ganzen Staaten Selbstwertgefühl und Identität zurückgeben. Diesem Glauben an die Kraft der Kunst verdanken die Salzburger Festspiele ihre Existenz. Und selbstverständlich werden wir im Jubiläumsjahr besonders auf diese ewig gültige Mission der Kunst programmatisch eingehen.

 



copyright: rois&stubenrauch | für Cercle Diplomatique 3/2019

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