Garten ohne Gärtner

  Der wilde vulkanische Südwesten El Hierros beeindruckt mit einer bis zur Abstraktion reduzierten Landschaft - ein faszinierender, karger Urgarten, der auch ohne Gärtner vollkommen ist.
  Text: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch
 

Drei makellose Aeonien wachsen in exakter Symmetrie aus der Mitte eines spiralförmigen Lavastranges, daneben breitet eine kleine Verode ihren hellgrünen, spitzen Blätterkranz in perfektem Kontrast über schwarz glänzende, blasenförmige Magmawülste. Als ob sie die an manchen Stellen schon unglaubwürdig bizarren Verformungen der Lava parodieren wollten, verteilen sich die wenigen Dickblattgewächse, Sukkulenten und Tabaiba Büsche über die Landschaft und setzen farbige Punkte in die ansonsten pechschwarze Fläche. Erbarmungslos brennt die Sonne auf das knochentrockene, in der Hitze flirrende Gestein. Nur die allerersten, genügsamen Pionierpflanzen können in dieser Einöde bestehen. Von der Zivilisation ist nicht der geringste Hinweis auszumachen. Wäre da nicht die Straße, die sich durch diese karge Welt schlängelt, könnte es sich genauso gut um eine Szene aus der Urgeschichte unseres Planeten handeln, als gerade die ersten Pflanzen zaghaft begannen, vom Land Besitz zu nehmen.

Die kleinste der Kanarischen Inseln galt tatsächlich lange Zeit als Anfang der Welt. Zumindest bis Christoph Kolumbus fast 6.000 km weiter westlich auf Land stieß, war El Hierro für Europa der äußerste Punkt auf der Landkarte. Kartografisch behielt es diesen Status dann erstaunlicherweise noch weitere 400 Jahre. So lange nämlich verlief der Mitte des 2. Jahrhunderts von Ptolemäus an die Westküste der Insel gelegte Nullmeridian offiziell durch die Punta de Orchilla. Erst 1883 wurde die wichtige geographische Referenzlinie dann endgültig an das Observatorium von Greenwich verlegt. Lange war der Leuchtturmwärter von Orchilla der einzige Bewohner im kargen Südwesten, seit das Leuchtfeuer, das sich hinter einem kleinen Vulkankegel verbirgt, von der Inselhauptstadt Valverde aus ferngesteuert wird, lebt hier überhaupt niemand mehr. Das hübsche, ein wenig an eine Dorfschule erinnernde Leuchtturmwärterhaus steht seither leer, und bis jetzt ist noch niemand auf die Idee gekommen, hier ein Hotel oder ein Café einzurichten. Zu abweisend und fremd ist diese vulkanische, fast nur aus schwarzem Gestein bestehende Gegend.

Stellt man dann das Auto am Straßenrand ab und wandert zwischen den bizarren Lavaströmen umher, erschließt sich plötzlich eine Art metaphysische Dimension der kargen Landschaft. Als riesiger Zen-Garten erscheint die weite Ebene, in der es von allem so wenig gibt, dass man beim besten Willen nicht noch weiter reduzieren könnte. Minimalistisch angeordnet wachsen die Pflanzen, einzeln und irgendwie exemplarisch zwischen Stricklava, die wie Landart Objekte anmutet. Ein Gärtner wäre hier so überflüssig wie ein Rasenmäher. Der menschliche Drang, Klarheit zu schaffen und der ansonsten chaotischen Botanik sein Konzept aufzuzwingen, kommt hier schlicht um einige zehntausend Jahre zu früh. Dafür macht dieser archaische Urgarten auf eine seltsame Weise glücklich. Vielleicht muss man sich ja den Garten Eden nicht als grünen Dschungel, sondern so ähnlich wie diese Lavafelder hier vorstellen.

Die urzeitliche Ruhe war allerdings Mitte der 90er ernsthaft bedroht. Eine Abschussbasis für Satelliten sollte nach den Plänen der spanischen Raumfahrtbehörde mitten in die einzigartige Lavaladschaft gepflanzt werden. Man versprach Arbeitsplätze und lukrativen Tourismusrummel, doch die Herreños sahen vor allem den Lärm, das Risiko eines Raketenabsturzes und die Hektik, die aus diesem Monsterprojekt, das sich so gar nicht mit dem gemächlichen Lebensrhythmus der Insel in Einklang bringen ließ, erwachsen würde. Mañana - sinngemäß am ehesten mit "irgendwann wird auch dafür Zeit sein" zu übersetzten - ist hier einer der wichtigsten Ausdrücke. Doch als es um die Seele ihrer Insel ging, entwickelten die Herreños ungeahnte Kräfte: über 20.000 Menschen, mehr als das Doppelte der Einwohnerzahl der Insel, demonstrierten in Santa Cruz de Tenerife gegen die Abschussrampe. Die Regierung im fernen Madrid musste schließlich klein beigeben. Als Nebeneffekt der Protestbewegung begann man sich auf der kleinen Insel Gedanken zur nachhaltigen Nutzung der knappen Ressourcen zu machen. Heute gibt es hier Windkraftwerke und Mülltrennung, und das vormals als rückständig geltende Schlusslicht der Kanaren mutierte zum Vorreiter – auch für einen möglichen Ausweg aus der Sackgasse des Massentourismus. Anfang 2000 wurde El Hierro dann von der UNESCO in den exklusiven Kreis der weltweit etwa 350 Biosphärenreservate aufgenommen, was einerseits Rückendeckung für den eingeschlagenen Weg gibt und andererseits die Raketenpläne endgültig zu Makulatur machte.

Der karge Urgarten im Valle de Orchilla darf also noch eine Weile bleiben wie er ist. Bis hier ein Wald oder eine Wiese wächst, dauert es ohnehin noch mindestens 100.000 Jahre. Natürlich gibt es auf der Insel auch noch andere Vegetation, schließlich gelten die Kanaren mit ihren über 500 endemischen Pflanzen als botanisches El Dorado. Ausgedehnte Weiden, auf denen graubraune Kühe im Passatnebel herumstehen, Bananenplantagen, zähe, vom ständigen Passat zu bizarren Gebilden verformte uralte Wachholderbäume, die zum Wahrzeichen der Insel geworden sind, Kanarenkieferwälder und zuoberst der Lorbeerurwald, ein komplexes, etwa 15 Mio. Jahre altes Ökosystem, das einst, vor der großen Eiszeit am Ende des Tertiärs, halb Europa bedeckte. Auf alten Maultierpfaden lässt es sich staunend durch die verschiedenen Vegetationszonen wandern – und wunderbar nachdenken darüber, wie viel menschliches Zutun und gärtnerischer Ehrgeiz der ideale Garten braucht und wie wohl das Paradies am Anfang der Zeit ausgesehen haben mag. Die kleine Atlantikinsel scheint der Sache auf jeden Fall ziemlich nahe zu kommen.




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