Durchleuchtete
Meisterwerke

 

Neue Verfahren und technische Entwicklungen entlocken den Alten Meistern in Österreichs Museen neue Geheimnisse und hochspannende Erkenntnisse über ihren Erschaffungsprozess.

  Text: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch
 

Wenn sich im Oktober 2018 die Türen zur großen Bruegel Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien öffnen, geht zeitgleich der Bruegel-Viewer insidebruegel.net online, der sensationelle, bisher ungesehene Einblicke in das Werk des großen niederländischen Malers des 16. Jahrhunderts ermöglicht. Die Ausstellung im KHM, zu der sich Werke aus der ganzen Welt auf den Weg nach Wien machen, versammelt mit beinahe 30 Tafelgemälden und ebensovielen Zeichnungen und Druckgrafiken mehr als die Hälfte des erhaltenen Schaffens von Pieter Bruegel dem Älteren. Das Kunsthistorische Museum Wien hat die bahnbrechende Schau zum Anlass genommen, seine eigenen Bruegel Bestände im Rahmen eines internationalen Forschungsprojektes mit den neuesten wissenschaftlichen Methoden einer detaillierten Analyse, von Röntgen- und Infrarotaufnahmen, Pigmentanalysen bis zu 3D-Aufnahmen der Bilder, zu unterziehen. Das Verzeichnis der beteiligten Institutionen an dem, seit 2012 laufenden, Projekt liest sich wie das Who is Who der internationalen Museumslandschaft. Ein in Zusammenarbeit mit der TU Wien entwickeltes Positionierungssystem und die von der Universität Brüssel erstellte Software geben nun im Bruegel-Viewer nicht nur Einblick in jedes kleinste Detail der Gemälde, sie ermöglichen auch den direkten Vergleich der Abbildungen in den verschiedenen Wellenlängenbereichen.

State of the Art 
Dabei konnten eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse gewonnen werden, wie Elke Oberthaler, Leiterin der Gemälderestaurierung im KHM, betont. „Einige Bildtafeln wurden in der Größe verändert und in mehreren Gemälden sind Farbveränderungen zu beobachten. Wir wissen nun über das ursprüngliche Format und auch über die originale Farbgebung sehr gut Bescheid und verstehen, wie die Kompositionen ursprünglich ausgesehen und gewirkt haben.“ Hochspannende Einblicke in die Arbeitsweise Bruegels lieferte auch die erstmalige Sichtbarmachung der Unterzeichnungen unter der Malschicht mittels Infrarotreflektografie. „Bruegel verwendete für Staffeleigemälde eins zu eins Vorzeichnungen, die aus der Tapisserie bzw. der Freskomalerei entlehnt sind, und hat dann mittels verschiedener Unterzeichnungen noch am Bildträger weitergearbeitet. Die Kombination der verschiedenen Techniken ist sehr außergewöhnlich“, so Oberthaler. Die Röntgenaufnahmen haben weiters gezeigt, dass Bruegel noch in fortgeschrittenem Malprozess Änderungen an der Bildkomposition vornahm. Beim berühmten Bild „Jäger im Schnee“ etwa wurde die dem Betrachter am nächsten stehende, für die Komposition sehr wichtige Figur, nachträglich eingefügt. Die spektakulären Forschungsergebnisse stehen auch innerhalb der Bruegel Ausstellung in einem eigenen Raum und auf interaktiven Touchscreens den Besucherinnen und Besuchern zur Verfügung. Anders als die Digitalisierungsprozesse, die etwa seit 2012 Google Arts & Culture, oder die aus dem EU-Budget mitfinanzierte Plattform europeana.eu betreiben, die weltweit tausende Kunstwerke in HD Aufnahmen online stellen, und damit einen wichtigen Anstoß lieferten, verfolgt das im Bruegel-Viewer resultierende Projekt einen viel tiefer gehenden, wissenschaftlicheren Ansatz und liefert der Bruegel-Forschung wie interessierten Laien gleichermaßen neue substantielle Einsichten in das Werk des flämischen Meisters. „Die Bruegel Ausstellung des KHM setzt in jeder Hinsicht neue Maßstäbe“, meint denn auch Generaldirektorin Dr. Sabine Haag. „Ein interdisziplinärer Ansatz, unter Einbeziehung der technologischen Möglichkeiten ist heute State of the Art wissenschaftlicher Erforschung und sollte daher integrativer Bestandteil einer solch anspruchsvollen Ausstellung sein. Umso mehr, wenn dabei so hoch interessante Ergebnisse zutage kommen! Das Publikum ist außerordentlich interessiert daran, einem Künstler über die Schulter zu schauen und den kreativen Prozess zu verstehen.“ 

Ein neuer Heiliger
Begleitende Forschungsprojekte werden für die großen Ausstellungen zusehends zum internationalen Standard. Von ähnlich umfassenden Ausmaß war auch das Bosch Research and Conservation Project zum fünfhundertsten Todestag des Malers aus ’s-Hertogenbosch 2016. Die Ergebnisse – so konnten etwa später übermalte Figuren sichtbar gemacht werden – sind auf der beeindruckenden Website boschproject.org nachzusehen. Das in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien befindliche, zu Boschs Hauptwerken zählende „Weltgerichtstriptychon“ wurde von der neuen Direktorin Dr. Julia M. Nauhaus 2017 nachträglich den wissenschaftlichen Untersuchung zugeführt. „Unser Altar ist noch recht unerforscht und es gibt viele offene Fragen. In einer interdisziplinären, allein dem Weltgerichts-Altar gewidmete Konferenz werden sich 2019 in Wien erstmals internationale Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen über unser Triptychon austauschen.“ Erste Ergebnisse konnten bereits im renommierten Burlington Magazine publiziert werden: In der Infrarotreflektografie der nachträglich ausgekratzten Wappenschilder an den Außentafeln konnte Hippolyte de Berthoz nun als Auftraggeber des Altars identifiziert und damit auch richtig gestellt werden, dass der rechte Flügel den Heiligen Hippolyt, und nicht wie bis anhin angenommen den Heiligen Bavo, darstellt. Nauhaus hofft, dass durch den internationalen Austausch weitere Fragen geklärt werden können: „Noch immer ist einiges unklar im Hinblick auf die Auftragsvergabe und wo der Altar nach seiner Fertigstellung gestanden hat. Eine weitere Frage ist, ob man anhand unseres Altars nähere Aufschlüsse darüber gewinnen kann, wie Boschs Werkstattbetrieb funktioniert hat? Auch zur Malweise und Datierung wird es sicher neue Erkenntnisse geben.“ Die umfangreichen Informationen werden dann dem Publikum, nach dem Wiedereinzug der Gemäldegalerie 2020 von ihrem derzeitigen Ausweichquartier im Theatermuseum in ihre angestammten Räumlichkeiten am Schillerplatz, in Form einer Medienstation zugänglich gemacht, wie Nauhaus betont.

Feldhase revisited
Auch für die kommende, große Albrecht Dürer Ausstellung im Herbst 2019 in der Wiener Albertina,werden die Bestände – darunter natürlich auch der weltberühmte Feldhase - aufwändigen Untersuchungen unterzogen. „Wir erhoffen uns davon eine Neubewertung des Mediums Zeichnung im Werkprozess Albrecht Dürers, die Rekonstruktion zusammengehörender Werkkomplexe sowie die fallweise Korrektur der Werkchronologie“, erläutert Dr. Christof Metzger, Chefkurator der Albertina, die Ziele des umfangreichen Projekts. Erste spannende Entdeckungen kann auch die Albertina bereits vermelden: „Bei Dürers Werk „Die Heilige Sippe“ von 1511 lässt die Infrarotaufnahme die Zeichnung aufgrund der verwendeten Eisengallustinte vollständig verschwinden. In der kontrastverstärkten HD-Aufnahme wurden auf der nicht einsehbaren Rückseite von Dürer entworfene Pokale sichtbar.“ Alle gewonnenen Erkenntnisse werden in die online abrufbare Datenbank der Albertina eingearbeitet, wie Metzger weiter ausführt, „und selbstredend mit einem umfangreichen, wissenschaftlichen Katalog und modernen Vermittlungsmedien in der Ausstellung präsentiert.“

Dank der fortschreitenden Digitalisierung, immer ausgefeilterer Technologien im optischen Bereich und einer zusehends vernetzter agierenden, internationalen Forschungscommunity können wir uns also in Zukunft noch auf einige neue Einblicke in die Meisterwerke der Museen Österreichs freuen.

Info:
Bruegel
Kunsthistorisches Museum Wien
bis 13.1.2019
khm.at

Bosch tritt auf!
Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien zu Gast im Theatermuseum
akademiegalerie.at

Albrecht Dürer
Albertina Wien
20.9.2019-6.1.2020

albertina.at

insidebruegel.net

boschproject.org



copyright: rois&stubenrauch | für Cercle Diplomatique 3/2018

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