ART IN THE AUSTRIAN PARLIAMENT | |
Architektur, |
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Im frisch sanierten Parlamentsgebäude verweisen die architektonischen Erweiterungen und eine Reihe spannender künstlerischer Interventionen auf den Wertekanon der Republik Österreich als parlamentarische Demokratie. |
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Text: Evelyn Rois & Bruno Stubenrauch | |
Rund 1.000 Besucherinnen und Besucher verzeichnet das Hohe Haus jeden Tag seit seiner feierlichen Wiedereröffnung samt staatstragendem Festakt am 12.01.2023. Das Interesse ist groß. An den zwei Tagen der offenen Tür im Januar stauten sich 25.000 Menschen bis weit auf die Ringstraße und nahmen teils stundenlange Wartezeiten in Kauf, um einen Blick in das neu erstrahlte Parlamentsgebäude zu werfen. Das Ziel, das Haus für die Bevölkerung zu öffnen, war schließlich, neben der Generalsanierung, ein zentraler Fokus des Projekts: Die 10.000 m2 Raumgewinn, die durch den Umbau erreicht werden konnten, kommen fast zur Gänze den Besucherinnen und Besuchern des Parlamentsgebäudes zugute. Offenes Haus Neu geschaffen wurde etwa das „Demokratikum - Erlebnis Parlament“ unter der Säulenhalle. Die Demokratiegeschichte der Republik steht in den nüchternen Räumen im Zentrum: Projektionen werfen Fragen auf wie „Ist unsere Verfassung besonders?“ oder „Was bringt uns der Rechtsstaat?“, während interaktive Medientische Fakten zur österreichischen Geschichte liefern. Die Spanne der im „Demokratikum“ angesprochenen Themen reicht von Gewaltentrennung bis zum Zusammenspiel von Medien, Öffentlichkeit und Demokratie. Ein steter Besucherstrom drängt sich vor den digitalen Stationen. Analoge Fotografie findet ebenso ihren Platz: Der Ausstellung des jährlich verliehenen Global Peace Photo Award stehen Ikonen der Pressefotografie der vergangenen Jahrzehnte gegenüber. Die Vermittlung des demokratischen Wertekanons und der Grundlagen der parlamentarischen Demokratie war ein essenzielles Anliegen des mehr als fünf Jahre umspannenden Megaprojektes Parlamentssanierung. Parlamentsgebäude 2.0 Der Umbau orientierte sich dabei am architektonischen Konzept Theophil Hansens, betonen die Architekten der Parlamentssanierung Jabornegg & Pálffy. Die Architektursprache Hansens für seinen neoklassizistischen, 1883 eröffneten Ringstraßenbau wurde mit viel Fingerspitzengefühl fortgeschrieben, bisher ungenutzte Bereiche der historischen Baustruktur für zusätzlche Funktionen gewonnen. Die neuen, architektonisch klar und sachlichen Räume im Untergeschoss finden ihre Ergänzung im großzügigen, luftigen „Plenarium“ der Demokratiewerkstatt im Dachbereich mit grandiosem Blick auf die neue Glaskuppel mit 28 Metern Durchmesser über dem Nationalratssaal, dem Herzstück der baulichen Erneuerungen des Parlamentsgebäudes. Die neuen Terrassen und das Rooftop Restaurant Kelsen mit 700 m2 ergänzen den ausgebauten Dachbereich. Der denkmalgeschützte Teil des Hauses, vom historischen Sitzungssaal bis zur Säulenhalle, der in jedem kleinsten Detail die Handschrift Hansens trägt, wurde mit immensem Aufwand und großer Akribie restauriert. So auch die historische Parlamentsbibliothek, vom renommierten Büro BWM Architekten auf kongeniale Weise als aktives Wissenszentrum neu positioniert und für die Besucherinnen und Besucher geöffnet. Dass der in jeder Hinsicht maximal herausfordernde und komplexe Umbau unter Federführung der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) zudem mit dem „klimaaktiv Gold Standard“ des Umweltministeriums ausgezeichnet wurde, verweist auf den enormen Einsatz aller an diesem für die Republik Österreich so wichtigen Projekt Beteiligten. Kunst mit Signalwirkung Eine ebenso gewichtige Rolle wie der Architektur kommt im generalüberholten Parlament der Kunst zu: Zehn eigens für das Parlament geschaffene in situ-Arbeiten setzen sich explizit mit den Grundwerten der Demokratie und der Geschichte des Hauses auseinander. Das sanierte Parlamentsgebäude erfährt durch die künstlerischen Interventionen eine neue Konnotation und Veränderung der Raumwahrnehmung und nicht zuletzt die Fortschreibung der Geschichte in die Gegenwart. Dass der Kunst das Potential innewohnt, auf den gesellschaftlichen Wertekanon einzuwirken, war sich schon Hansen sehr genau bewusst und hat den Parlamentsbau mit einer ganzen Reihe allegorischer Darstellungen und Statuen bedacht - vom Pallas Athene Brunnen vor dem Haus bis hin zu den weithin sichtbaren Quadrigen über dem Dach, die für den Sieg des Parlamentarismus stehen. Die neu für das Parlament geschaffenen Arbeiten überführen die künstlerische Sprache des Hauses nun auf beeindruckende Weise in die Gegenwart. Auf der Prachtstiege etwa werfen eine Reihe riesiger runder Spiegel, in verschiedenen Neigungen an einem starken Drahtseil über die ganze Höhe des Stiegenhauses gehängt, den Blick der Besucherinnen und Besucher - bzw. der Abgeordneten des Bundes- und Nationalrates - auf wechselnde Details der Architektur. Die Spiegelflächen öffnen neue Perspektiven, reflektieren und brechen zugleich die üppige und detailverliebte Architektur des Hohen Hauses. „Extensions of public space“, so der Name der raumgreifenden Arbeit der renommierten Österreichischen Künstlerin Eva Schlegel, wurde eigens für den für unsere Demokratie so bedeutsamen Ort konzipiert, wie Hans-Peter Wipplinger, Kurator des Kunstprogramms im Parlament und Direktor des Leopold Museums, betont. Weitere prominent platzierte, spannende künstlerische Intervention stammen etwa von Constatin Luser: Seine „Demokratietrompete“, ein filigranes Netzwerk von gewundenen Rohren mit sechs Mundstücken und einem Fries an der Stirnseite der Plenar-Lounge, verweist auf wichtige demokratische Entscheidungen Österreichs, von Frauenrechten bis Zwentendorf. Im enormen Vorzimmer des Nationalratspräsidiums markieren vier großformatige, in changierenden Blautönen gemalte Leinwände Heimo Zobernigs die Maße einer durchschnittlichen österreichischen Wohnung - ein ironischer Fingerzeig in den sich über mehr als 50.000 m2 erstreckenden Raumfolgen des Parlamentsgebäudes. Esther Stockers und Peter Koglers Interventionen in den neuen Stiegenhäuser zählen ebenso zur neuen künstlerischen Verortung des Parlamentsgebäudes wie das umlaufende Holzfries im „Plenaruim“ von Peter Sandbichler, Brigitte Kowanz‘ Lichtskulptur im Elise Richter Saal oder Lea Sondereggers tiefgründige Fotoarbeit über den Zwischenzustand des Umbaus im Café Agora. Herz der Republik Die historische Chance, die sich mit dem Umbau des Parlaments bot, das Kunstprogramm signifikant auszubauen, zu intensivieren und in den Kontext des 21. Jahrhunderts zu überführen, wurde jedenfalls in beeindruckender Weise genutzt. 140 Jahre nach seiner Eröffnung hat das Parlamentsgebäude nach über fünfjähriger Zwangspause seine Funktion als Herz der Republik wieder aufgenommen - offener, transparenter und zeitgemäßer - und mahnt nicht nur mit seiner Architektur, sondern auch mit den neu geschaffenen künstlerischen Interventionen die Grundwerte unserer Demokratie ein - hoffentlich auf mindestens weitere 140 Jahre.
______________________ „Wir alle sind Demokratie. Das Parlament ist nicht nur das Haus der 183 Abgeordneten, es ist das Haus aller Österreicherinnen und Österreicher. Mit der Wiedereröffnung ermöglichen wir umfassende Einblicke in das tägliche parlamentarische Geschehen und stärken das Hohe Haus als unverkennbares Symbol einer lebendigen Demokratie. „Wesentlich war die historische Bausubstanz zu retten und das Gebäude zu modernisieren und zu einem zeitgemäßen Parlament der Zukunft zu machen. „Mit großer Freude konnten wir nach fünf Jahren Sanierung die Pforten des Parlamentsgebäudes wieder öffnen und es letztlich nicht der Politik, sondern dem Souverän, den Bürgerinnen und Bürgern, übergeben.“
______________________ „Etwas Bleibendes schaffen.“ Hans-Peter Wipplinger
Zur Auswahl der Arbeiten: „Die Arbeiten im österreichischen Parlamentsgebäude sollten die Bedeutung der Kunst als Beitrag zur gesellschaftspolitischen Debatte für unser Gemeinwesen klar signalisieren. Ausgewählt wurden höchst unterschiedliche, vornehmlich etablierte Positionen, welche die österreichische Kulturnation als Botschafter im Bereich bildender Kunst repräsentieren. Es war mir wichtig, mit den in situ-Arbeiten etwas Bleibendes, Nachhaltiges zu schaffen, denn heute wird das kulturelle Erbe von morgen geschrieben.“ Über die Kunstwerke im Parlament: „Eine exemplarische Intervention stammt von Heimo Zobernig: Ein Schriftzug, in dem die Worte Demokratie und Parlament einander überlagern. Worte, die zur Reflexion über die Errungenschaften unseres politischen Systems anregen. Die Arbeit an der Stirnwand eines Ausschusslokals kann sowohl als motivierende als auch mahnende Erinnerung verstanden werden.“ Hinsichtlich Kunst im demokratiepolitischen Diskurs: „Constantin Lusers fragile Klangskulptur „Demokratietrompete“ symbolisiert die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, analog zum Spektrum der politischen Parteien einer Demokratie. Eva Schlegels Spiegelskulpturen „extensions of public space“ erweitern nicht nur die räumlichen Perspektiven, sie sind auch Sinnbild für die Erweiterung des Horizontes oder die Änderung des Blickwinkels. Nicht zuletzt sollen die im Parlament neu installierten Werke der Gegenwartskunst Anregungen und Denkanstöße für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Besuchende des Hauses ermöglichen und einen Brückenschlag vom Bildprogramm des Historismus zur Gegenwart des 21. Jahrhunderts herstellen.“ ______________________ „Mehr Platz für die Öffentlichkeit.“ Wolfgang Gleissner
Über die Dimension der Baustelle: „Die Sanierung des Parlamentsgebäudes war sicher die komplexeste Baustelle, die ich in meiner Zeit im BIG Konzern verantworten durfte. Während in einem Sektor noch Abbrucharbeiten stattfanden, wurde im anderen schon am Ausbau gearbeitet. Gut erinnere ich mich auch an die Nacht, als der 600 Tonnen schwere Riesenkran vor das Haus am Ring gebracht wurde, der für die Montage eines Stahldruckrings als Unterkonstruktion für die Glaskuppel des neuen Sitzungssaals des Nationalrats gebraucht wurde.“ Bezüglich der logistischen Herausforderungen: „Dieses Mega-Projekt war eine wahre Meisterleistung im Zusammenspiel von Baumanagement, örtlicher Bauaufsicht und den 90 Gewerken mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine echte Challenge war die Baustellen-Logistik. Das Parlament befindet sich im dichtverbauten innerstädtischen Bereich und es gab kaum Platz, Baumaterial zu lagern. Hinzu kommt, dass das Parlamentsgebäude als Symbol der Republik natürlich von besonderen Interesse für die Öffentlichkeit ist. Damit einher geht eine entsprechend intensive und transparente Kommunikationsarbeit.“ Zu den wichtigsten baulichen Erweiterungen: „Die zentrale architektonische Neuerung ist die neue Glaskuppel über dem Nationalratssaal mit einem Durchmesser von 28 Metern, wodurch es jetzt direktes Tageslicht in diesem Saal gibt. Besonders freut mich, dass das Herzstück der Republik nun viel mehr Platz für die Öffentlichkeit bietet. Eine weitere architektonische wie bautechnische Meisterleistung ist das neue Zentrum für Besucherinnen und Besucher Agora im ehemals ungenutzten Bereich unter der zentralen Säulenhalle.“ ______________________ parlament.gv.at
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