Culture Talk
Julian Rachlin

  Interview: Rois & Stubenrauch
 

Musikerpersönlichkeit und Herbstgold-Intendant Julian Rachlin im Cercle Diplomatique-Exklusivinterview über musikalische Metamorphosen, sich verschiebende Grenzen und das Musizieren als Künstlerpaar.

2021 ist Ihr erstes Jahr als Intendant von Herbstgold. Was sind ihre Pläne für das Festival?

Dieser Ort hat natürlich eine unglaubliche Geschichte. Ich möchte dieser Tradition von Schloss Esterházy mit Haydn und Beethoven und dem Festival selbst, durch meine Erfahrung der letzten 35 Jahre, die ich mittlerweile schon durch die Welt sausen darf, eine gewisse persönliche Energie injizieren. Sodass die Leute sagen, 'da muss ich unbedingt hin'. Es ist mein Ziel, dass Herbstgold ein bisschen einen Kontrapunkt in unserem wunderschönen Land Österreich setzt und im Osten auch ein Juwel und ein Diamant erstrahlt. Wir haben sehr viel im Westen, das große Salzburg, das große Bregenz, wir haben das große Grafenegg, und jetzt entwickelt sich hier im Burgenland auch etwas, das weit über die Grenzen auszustrahlen vermag.

Sie sind nicht nur Intendant und gefeierter Violinist, sie stehen auch als Dirigent auf der Bühne.

Ich bin immer sehr neugierig, ich möchte Musik aus allen verschiedenen Blickwinkeln erleben und versuche, mich immer wieder neu zu erfinden – durchaus im Bereich meiner Grenzen, aber diese Grenzen verschieben sich mit den Jahren. Und für die Dinge, hinter denen wirklich meine ganze Leidenschaft steht, gebe ich tausend Prozent. Der Tag hat 24 Stunden - minus sechs bis acht Stunden Schlaf - da kann man schon einiges machen, wenn man neugierig ist.

Zum Festivalmotto „Metamorphosen“: Welche musikalischen Metamorphosen darf sich das Publikum erwarten?

Das Themen Metamorphosen kann man bewusst sehr weit deuten, ich mag keine Themen, die ein Festival einengen. Beim Eröffnungskonzert etwa werde ich Richard Strauss' Metamorphosen dirigieren, in Kombination mit Beethovens Eroica. Eine Metamorphose ist aber beispielsweise ebenso, dass Martin Traxl, Kulturchef des ORF und ein lieber Freund, bei Herbstgold sein Regiedebüt als Opernregisseur gibt.

Sie treten oft zusammen mit Ihrer Frau Sarah McElravy auf. Wie ist es, mit einem Menschen, den man so gut kennt, zusammen zu musizieren?

Das ist ein großartiges Gefühl. Wo für ein Duo-Programm zwei tolle Musiker zwei, drei Tage oder im besten Fall eine Woche Zeit zusammen haben, haben wir das ganze Leben. Wir haben den Luxus, bei diesen Programmen wirklich in die Tiefe zu gehen.

Die Pandemie war auch eine erzwungene Pause im Klassikbetrieb.

Als Musiker sind wir ja alle irgendwie Getriebene, fliegen von einem Land ins andere. Unser Leben besteht aus Auftritt, Vorbereitung, Auftritt, Koffer packen. Diese schreckliche Pandemie gibt uns gezwungenermaßen die Zeit, über vieles zu reflektieren. Denn in der Klassischen Musik geht ohne Zeit sowieso gar nichts. Auch wenn man ein Werk einige Jahre nicht gespielt hat, braucht es Zeit und Ruhe, es wieder neu zu entdecken. Das eigene Leben hat sich ja in diesen Jahren auch verändert, der Geschmack vielleicht auch, die Assoziationen. Das sind alles sehr wichtige Elemente für die Interpretation. Und ich bin überzeugt davon, wenn jetzt wieder Konzerte stattfinden, dann hören die Leute auch anders zu, weil sie hungrig sind.

 

 

Julian Rachlin

zählt zu den renommiertesten Musikerpersönlichkeiten der Gegenwart. In seiner mehr als 30 Jahre andauernden Karriere als Violinist und Dirigent ist er mit beinahe allen bedeutenden Orchestern der Welt und Stars wie Martha Argerich, Mischa Maisky oder Gidon Kremer auf der Bühne gestanden. Er leitete 13 Jahre das Festival „Julian Rachlin and Friends“ in Dubrovnik. 2021 ist Julian Rachlins erste Saison als musikalischer Leiter des Herbstgold Festivals auf Schloss Esterházy.




copyright: rois&stubenrauch | für Cercle Diplomatique 2/2021

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