VISION DIALOGUE
 

„Hör- und Sichtweisen
hinterfragen.“

 

 

STEFAN HERHEIM

über das wiedereröffnete
MusikTheater an der Wien.

  Interview: Rois & Stubenrauch
 

Das MusikTheater an der Wien ist endlich wieder zurück in seiner historischen Spielstätte - ein gutes Gefühl?

Ein unbeschreiblich gutes Gefühl!

Es gibt im neu renovierten MusikTheater an der Wien auch zwei neue Auftrittsorte - die wiederbelebte „Hölle“, wo zu Beginn des 20. Jahrhunderts legendäre Künstler wie Fritz Grünbaum oder Karl Farkas auftraten, sowie das neue Foyer „Himmel“. Welche Formate werden hier zu sehen sein?

Künstlerinnen und Künstler, die unserem Haus eng verbunden sind, können in der intimen Hölle direkt neben unserer neuen Kantine in lockerer Atmosphäre ganz andere Seiten ihres Könnens als im großen Haus oder in der Kammeroper präsentieren. Im Himmel feiern wir Premieren und Dernieren zusammen mit unserem Publikum, das 30 Minuten vor jeder Vorstellung im angeschlossenen Salon - nebst der neuen Loggia mit Blick auf den Naschmarkt - Werkeinführungen unserer Dramaturgen bekommt.

Im Dezember steht in der Kammeroper „Der Prozess“, von Gottfried von Einem am Spielplan. Sie inszenieren die Oper nach dem Roman Kafkas - angesichts digitaler Überwachung ein aktueller Stoff?

Jedenfalls sticht dieser Aspekt sofort ins Auge in der Auseinandersetzung mit dieser Oper. Und er ist eng damit verbunden, dass immer mehr Menschen überfordert sind mit der unendlichen Menge an Information, die uns heute zugänglich ist, dem Allgemeinwohl aber kaum dient. Zwischen Zivilcourage, Ungehorsam, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Vertrauen in das System können die Grenzen dermaßen verschwimmen, dass blanke Angst regiert. Und gerade das nutzen Populisten und Rechtsradikale zur Destabilisierung des mehr denn je benötigten, globalen Miteinanders. In diesem Klima sind wir mit der Frage, welche Rolle und Bedeutung die Kunst haben soll ebenso neu konfrontiert, wie es Gottfried von Einem als Kind seiner Zeit war.

Das MusikTheater an der Wien war eine wichtige Spielstätte für Johann Strauss -
13 seiner 15 Operetten wurden hier uraufgeführt. Wie begeht das Haus 2025 den
200. Geburtstag des Musikers?

Szenisch beginnen wir mit der Inszenierung eines der vielen zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Werke des Walzerkönigs, und enden mit der berühmtesten und meistgespielten aller Operetten. Dabei war „Die Fledermaus“ zunächst nicht annähernd so populär in Wien wie „Das Spitzentuch der Königin“, bis der darin parodierte Thronfolger Rudolf sich das Leben nahm und das Werk der Staatstrauer zum Opfer fiel. Dass auch „Die Fledermaus“ mit den tagespolitischen Geschehnissen ihrer Entstehungszeit und den Mechanismen der Macht eng zusammenhängt, werde ich als Regisseur selbst ausleuchten. „Karneval in Rom“ wird das Straussjahr im Theater an der Wien am Silvesterabend ausklingen lassen.

Die Saison ist vollgepackt mit weiteren Highlights, etwa dem Rollendebüt von Asmik Grigorian als Norma oder dem Auftragswerk „Voice Killer“ von Miroslav Srnka.

Auch ich freue mich natürlich riesig auf Asmik als „unkeusche Diva“ in Vasily Barkhatovs Inszenierung von Bellinis Meisterwerk. Aber auch auf unsere Erweiterungen des Repertoires um neue Werke, Raritäten und Wiederentdeckungen in Produktionen, die tradierte Hör- und Sichtweisen hinterfragen.

 

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Stefan Herheim

ist seit 2022 Intendant des MusikTheaters an der Wien. Aufgewachsen in einer Musikerfamilie in Oslo, inszeniert der Opernregisseur seit 1999 an den wichtigsten Bühnen Europas. 2024 wurde Herheim mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis in der Kategorie Beste Regie für „Das schlaue Füchslein“ ausgezeichnet.
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