„Ich möchte
neue Erfahrungen
ermöglichen.“

  Sabine Folie, neue Direktorin der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien, möchte der Gegenwart stärker Rechnung tragen und Raum stiften für unerwartete Zusammenhänge.
  Interview: Rois & Stubenrauch
 

Wie präsentiert sich die Gemäldegalerie nach dem Wiedereinzug ins umfassend sanierte Gebäude der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz?

Die Gemäldegalerie ist ein Teil der Akademie, also eines Gebäudes, das beides versammelt: musealen Betrieb und Lehre. Das spürt man am Leben im Haus und es ist ein Spezifikum. Die Sichtbarkeit der Gemäldegalerie innerhalb des Gebäudes ist durch neue Leitsysteme und Zugänge wesentlich verbessert, die Gemäldegalerie selbst wurde ja bereits vor 10 Jahren komplett renoviert. Entscheidend ist, dass es mit der Programmatik der Kunstsammlungen gelingt, das Museum zugänglicher zu machen - auch für junge Menschen und ein Publikum, das zwar in die klassischen Bundesmuseen findet, aber bislang weniger in die Räume der Gemäldegalerie.

Wie soll diese inhaltliche Neuausrichtung aussehen?

Ich biete mit meiner kuratorischen Arbeit den Besucherinnen und Besuchern Narrative an, welche die reichen Kunstsammlungen der Akademie in einem neuen Licht erscheinen lassen und Raum stiftet für unerwartete Begegnungen und neue Zusammenhänge. Im Prinzip heißt das, von einer permanenten Schausammlung mehr in Richtung einer dynamischeren Sammlung in unterschiedlichen Konstellationen überzugehen. In den Sammlungen der Gemäldegalerie, des Kupferstichkabinetts und der Glyptothek gibt es Schätze, die noch nicht gehoben wurden oder wenig und gar nicht gezeigt wurden. Jedenfalls werden wir quer durch die Sammlungen verschiedene thematische Schwerpunkte setzen, die neue Erfahrungen ermöglichen.

Werden Positionen der Gegenwartskunst weiterhin wichtiger Bestandteil der Ausstellungen sein?

Sie wird ein Bestandteil sein in vielen der kommenden Ausstellungen, denn es ist mir an der Anschlussfähigkeit der Alten Meister an die Gegenwart gleichermaßen wie an der wissenschaftlichen und diskursiven Aufarbeitung möglicher neuer Zusammenhänge gelegen. Wir leben in der Gegenwart und dem soll Rechnung getragen werden, dennoch wird das Thema der Historizität als Container von Wissen und kollektivem Gedächtnis eine zentrale Rolle spielen. Es wird sicher Ausstellungen geben, in denen die Alten Meister überwiegen. Aber womöglich gibt es demgegenüber in einem der Räume einen „Kommentar“ einer zeitgenössischen Künstlerin, eines Künstlers, die oder der sich mit der Sammlung intensiv auseinandergesetzt hat.

Die momentan viel diskutierte Problematik einer kolonialistischen Perspektive der Museen in Europa nimmt in der aktuellen Ausstellung „Hungry for Time“ breiten Raum ein.

Wir sind gerade am Anfang einer Neuausrichtung. Es geht auch um die Verpflichtung in einer Akademie, neue Erkenntnisse zu generieren und auch Überlegungen anzustellen zu einem zeitgemäßen Museum der Zukunft. Dass Sammlungen und Geschichte generell heute neu betrachtet werden, dass alte Kanonisierungen und Dogmen aufgebrochen werden, ist ein natürlicher und notwendiger Prozess und steht für die Weiterentwicklung einer Zivilgesellschaft, der wir als Teil der Akademie natürlich auch nachkommen müssen. Andererseits will das Museum traditionell bilden und unterhalten, die Mittel dazu sind heute andere als früher. Und die Fragen, die sich stellen, ebenso.


 

Sabine Folie
übernimmt ab Jänner 2022 die Leitung der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien. Derzeit leitet die Kunsthistorikerin und Kuratorin das VALIE EXPORT Center Linz und bekleidet eine Professur an der Kunstuniversität Linz. Von 2017-2019 war Folie Gastprofessorin an der Bauhaus Universität Weimar, von 2008 bis 2014 Direktorin der Generali Foundation Wien, davor zehn Jahre Chefkuratorin der Kunsthalle Wien.

 


Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien |
Current exhibitions

Hungry for Time. Einladung zu epistemischem Ungehorsam.
Raqs Media Collective
bis 30.01.2022

reopening.akbild.ac.at
akbild.ac.at/kunstsammlungen

 

 

 

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